Stolz. Demut. (‏גאוה ענוה)‎ Kapitel 12

Hüte dich deinetwillen wohl
daß nicht du vergessest Haschem deinen Gott,
nicht zu achten seiner Gebote, Rechtsaussprüche und seiner Gesetze,
zu denen ich dich heute verpflichte; —
daß du nicht essest und satt werdest,
gute Häuser bauest und bewohnest,
dein Rind und Schaf sich mehre,
und Gold und Silber sich dir mehre,
und sich mehre alles was dein;
und dann stolz werde dein Herz
und du vergessest Haschem, deinen Gott,
der dich geführt aus Mizrajims Land, aus dem Hause der Sklaven,
der dich geführt in der Wüste, die groß und furchtbar
an Schlangen, Sforof und Skorpion
und Durst und Wassermangel;
der dir Wasser strömen ließ
aus Kieselfelsgestein,
der dich speiste mit Man in Wüste,
den deine Väter nicht kannten,
um dich deine Abhängigkeit fühlen zu lassen und dich prüfend zu heben,
und dir gut zu thun in deinem Ende; —
und du dann sprächest in deinem Herzen:
Meine Kraft und Stärke meiner Hand
hat dies Vermögen mir verschafft! —
Vielmehr gedenke Haschem, deinen Gott,
daß Er es ist,
der dir Kraft giebt Vermögen zu erwerben,
aufrecht zu halten seinen Bund,
den Er geschworen deinen Vätern, wie heute.
(V, 8, 11.) (sieh auch V, 9, 4 u. ff.)


§. 92. Sei nicht stolz! Siehe nie irgend etwas an, das dein du nennest, nicht dein Vermögen, nicht deine Körperstärke und Schönheit, nicht deine Geistesschärfe und Fähigkeit, ohne zu gedenken, daß nicht du dir’s verschafft, sondern Gott dir’s geliehen, Er allein es ist, dem du es zu verdanken hast, ja, Er noch Herr darüber ist, obgleich du dein es nennst, — denke daran, und hüte dich vor Stolz.

§. 93. Alles wird dem Menschen aus Himmels Händen, Stärke, Reichtum, Gesundheit, Klugheit, Schönheit, und alle andern Güter, deren der Mensch sich freut, und nur eins ist in des Menschen Händen, —‎ und dies eine ist Gottesfurcht und Pflichterfüllung mit allem dem, das Gott dazu verleiht — —: und du wolltest stolz sein auf das, was dein nicht ist, und dein Verdienst nicht ist, daß du es habest? O, je mehr dich Gottes Segen überströmt, um so mehr müßtest du Gottes Größe und deine Kleinheit fühlen ; — je mehr dir wird, je weniger wirst du; — je mehr du hast, je kleiner bist du ; — denn größer wird immer deine Pflicht — und kleiner dagegen dein Verdienst. — Siehe dein Leben, — gedenke der Wohlthaten, die dir und deinem Volke Gott gespendet, — denke dir Gottes Schutz und Güte fort aus deinem Leben — und sieh da, — ohne Gottes Schutz, — auch heute Schauplatz jedes Menschen-Lebens eine Wüste wie einst den Vätern, — wo jeder Schritt Gefahr droht und Tod, und nur aus Himmels Händen dir Schutz und Man der Nahrung wird, — siehe so dich und deine ganze Vergangenheit und Gegenwart nur durch Gott und aus Gott — und frage dich, ob stolz du sein könnest.

§. 94. Du warst fleißig, — hast rüstig gestrebt, — und es gelang dir, Vermögen, gelang dir, Kenntnis zu erwerben, — nun wohl! denn ohne rüstiges Streben und ohne Fleiß und Mühe wird uns nichts; — aber stolz willst deshalb du sein? stolz gegen Minderreiche, Minderkenntnisvolle? Wer ist’s denn, der dir Kraft und Gelegenheit und Segen geben mußte, Vermögen und Kenntnis zu erlangen — ist’s nicht Gott?

§. 95. Aber auf Recht, Gerechtigkeit und Liebe, die du geübt? Zähle deine Gutthaten — zähle aber auch deine Güter, die du aus Gottes Händen erhalten, zähle auch deine Pflichten, die Gott von dir fordern kann, — ob du nur Eine Gutthat aufweisen kannst, wodurch du mehr gethan als nur einen kleinen Teil deiner Pflichten erfüllt zu haben gegen Gott, dem du alles schuldig bist, der dir schon lange zuvor Wohlthaten übte, ehe du noch gar erkennen konntest, geschweige vergelten, — und der in jedem Augenblicke mit neuer Güte dich überstrahlt; ob du nicht ewig und immer Schuldner bleibst an Gottes Güte — Schuldner, selbst wenn du alles gethan hast — eben für diesen Segensberuf der Gott nachstrebenden That, in den Er dich rief und setzte — und du willst stolz sein? O, eben wenn du alles gethan hast — wenn du wahrhaft gut, durch und durch gut du bist, — dann eben wirst du gar nicht kennen Stolzgefühl; — hast ja dein Leben durch Gottes Diener dich gefühlt, als Gottes Diener gestrebt, — Seligkeit solchen Dienstes gefühlt — und in diesem Seligkeitsgefühl aufgestrebt zu Gott und Ihn geliebt, — geliebt als Den, ohne den du nichts — und nur von Ihm, durch ihn und in Seinem Beistande etwas — du und deine That — und wüßtest von Stolz? — Würdest du stolz, — in dem Augenblick raubtest‏‎ du, so viel an dir ist, deinem ganzen schon errungenen Leben allen Wert; denn was wäre es, wenn nicht in der Gesinnung Gott zu dienen geübt? Aber vor allem, in dem Augenblick öffnetest der Sünde du die Thüre und raubtest dir alle Fähigkeit zur Gutthat für die Zukunft; denn im Stolz wirst sorglos du — und unbewacht überrascht dich das Tier in dir und ringt sich los von seiner Kette, — und unmittelbar im Stolz erwacht die Selbstsucht — und du trittst aus aus dem Allchor der Gott dienenden Wesen —‎ wirst dir selber Götze. —

§. 96. Hüte dich vor Stolz! Es hat die Sünde keinen größeren Freund als Stolz. — Stolz war’s, nebst Genussesreiz, der die ersten Menschen sündigen ließ, sie Götter gleich selbst bestimmen zu lassen, was gut sei oder bös. Stolz, Besitzesstolz, der Kajin führte zum Brudermord. Stolz, Besitzesstolz, der um Bowel die Menschen zur Gottesleugnung und Selbstvergötternng führte. Stolz, Besitzesstolz, nebst Genussesliebe war’s, der unsere Väter auf Gottes Boden Gottes Lehren vergessen ließ und ihnen so das Glück entriß, auf das sie stolz geworden Stolz, der noch heute jeder Sünde vorangehen muß; denn kannst du in dem Augenblick der Sünde noch denken, daß dein nicht ist was du mißbrauchst, und würdest du’s mißbrauchen — wenn du’s dächtest? Stolz und Genussesreiz sind die Eltern der meisten Sünden, — Genussesreiz läßt dich das Böse wünschen — und Stolz, trotz göttlichen Verbots es dich erstreben; — darum hüte dich vor Stolz.


§. 97. Und statt des Stolzes mache dir bescheidene Demut eigen, jene wahre Demut ענוה, die sich wahrhaft mit allem, was ihr ist, nur von Gott abhängig fühlt; sich arm, reich nur in Gott erblickt, und darum alles nur als Mittel geliehen ansieht, Gottes Willen zu erfüllen. Jene Demut, die das All nicht sich, sondern sich dem All geschenkt erkennt, jeglichem Wesen, das in ihren Kreis tritt, so viel Segen zu werden als Gott Kraft verleiht, und darum nur diesen Anspruch der Wesen an sie kennt; — die darum himmelweit von jener falschen Demut verschieden ist, die, um nicht wirken zu brauchen, sich nur schwach fühlt und unkräftig erschlafft; — die vielmehr, eben weil sie den Anspruch aller Wesen an sie kennt, und ihn allein kennt, doppelt kräftig sich erhebt zum segensvollen Wirken; und deren höchste Blüte im Leben "חסידות" wird, jene hehre Liebe, die nichts für sich ist, alles nur für andere ist, und, sich selbst nicht in ihrem Rechte lebend, ganz durch und durch sich nur der Gesamtheit weiht. Wiederum himmelweit von jener falschen Chaßiduß fern, die, gerade Gegenspiel von der wahren, statt ganz ins Leben zu treten und alles für andere zu sein, aus dem Leben tritt, — für sich selber nichts ist —‎ aber auch nichts für andere — und andere für sich sein läßt. — Der größte Mensch, der je gelebt hat, ward größter Mensch durch Anowoh — nur sie rühmt die Schrift von Mauschehs großen Eigenschaften; und in Dowid, dem sein eigen Recht nie vertretenden, und sein ganzes Geistes- und Thaten-Leben seinem Volke weihenden Manne, erscheint dir Chaßiduß im Leben. — Anowoh erwirb dir — dann kannst du nicht sündigen.