1. Die Nichtidentität dieser Behörde mit dem Synedrion.

II. Die Behörde in der Quaderkammer des Tempels.

In der Mischna Middoth V 3. 4, wo die Bestimmung der einzelnen, im inneren Vorhofe gelegenen Kammern angegeben wird, ist als die der Quaderkammer angeführt: dort saß das große Synedrion Israels und hielt Gericht über die Priesterschaft; der Priester, an dem ein Makel gefunden wurde,31 legte schwarze Kleider an, hüllte sich in ein schwarzes Obergewand und entfernte sich; an dem aber kein Makel gefunden ward, der legte weiße Kleider an, hüllte sich in ein weißes Obergewand, ging in den Tempel hinein und tat mit den übrigen Priestern Dienst. Hiernach gehörte die Feststellung dessen, ob ein Priester vermöge seiner Abkunft zum Opferdienste zugelassen werde, zu den Befugnissen des Synedrions in der Quaderkammer. Dieses erscheint uns ganz natürlich,
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31) Es handelt sich um die Frage der makellosen Abkunft, wie der Bericht des R. Jose b. Chalafta in Tos. Chagiga II 9 und Synhedr. VII 1 meldet, daß in der Quaderkammer die Abkunft der Priester und Leviten untersucht wurde. Über die abweichende Meldung in Sifre Numeri 116, 36b, daß der Ort, wo die Abstammung der Priester geprüft wurde, hinter dem Hause des Vorhanges war, und über die schwankenden Lesearten in dieser Stelle siehe Seite 21. Hiermit ist vielleicht die Nachricht bei Josephus (Contra Apion. I 7, 31) zu verbinden, daß es in Jerusalem ein von Priestern angelegtes Verzeichnis der Stammbäume der Priester gab, aus dem jeder seine Abkunft genau erfahren konnte. Und von sich erzählt Josephus (Vita 1), daß er seinen Stammbaum in den öffentlichen Urkunden aufgezeichnet gefunden habe. Die Priesterbehörde, welche dieses Register führte, könnte ihren Sitz hinter dem Heiligtum innerhalb des inneren Vorhofes gehabt haben. Vgl. auch die Nachricht des Julius Africanus bei Eusebios, Hist. ecel. I 7, 5 ff.


da es sich um eine ausschließlich das Heiligtum angehende Frage handelt. Sowohl der Gegenstand dieser Entscheidung, als auch der Sitz der Behörde legen die Annahme nahe, daß diese eine rein priesterliche Körperschaft war; während ihre Bezeichnung als das große Synedrion Israels auf eine allgemeine, für das ganze Volk eingesetzte Behörde führt. Ihr voller Name, wie ihn die Mischna hat, findet sich auch in Sifra p. 19a: סנהדרי ‏גדולה היושבת בלשכת ה‏גזית,‎ in einem Bruchstück des verlorenen Sifre zutta im handschriftlichen Midrasch haGadol zu Numeri ‏והיה אם מעיני העדה, זו םנהדרין שהיא לעדה :24 ,15 ‎ 32, כעינים, ואיזו זו, זו סנהדרי ‏גדולה בלשכת ה‏גזית‎ doch auch ohne ‏גדולה in der Baraitha jer. Synhedr. I 19c ‏סנהדרין שבלשכת ה‏גזית. :23 Statt des unbestimmten ‏גדולה ‎ gibt die Parallelstelle zum Berichte des R. Jose in jer. Synhedr. I 19c 12: ‏סנהדרין של שבעים ואחד יושבת בלשכת הגדולה‎ die Zahl der Mitglieder an. Oft ist das Fremdwort סנהדרין durch das gleichbedeutende בית דין ersetzt; so in Sifre Deut. 152, Mischna Synhedr. XI 2, Tos. Chagiga II 9 (in manchen Handschriften fehlt hier הגדול), in der Baraitha jer. Synhedr. I 19c 21: ‏בית דין הגדול שבלשכת הגזית‎ oder mit Nennung der Mitgliederzahl in b. Synhedr. 88b im Berichte des R. Jose: ‏בית דין של שבעים ואחד יושבין בלשכת הגזית‎ aber auch bloß בית דין שבלשכת הגזית in‎ Tos. Horaj. I 3, jer. Horaj. I 45c 15, Tos. Sota IX 1 (da hat eine Überlieferung bei Zuckermandl הגדול). Das Wort ‚יושבין wie auch die ständige Wiederkehr der Quaderkammer in der Benennung der Behörde weist deutlich darauf hin, daß das in Frage stehende beth-din nicht bloß einmal, bei einem außergewöhnlichen Anlasse und ausnahmsweise sich in der Quaderkammer zusammenfand, sondern diese ihren ständigen Sitz und Versammlungsort bildete; ganz abgesehen davon, daß nach dem Berichte des R. Jos@ dieses bethdin an Wochentagen täglich von morgen bis nachmittag dort beisammen war.
Das Gleiche bezeugen die wenigen Entscheidungen, die von einer allerdings nicht näher bezeichneten Behörde in der
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32) ‎Vgl. Midrasch Cantie. rab. zu 4, 1: עיניך יונים, עיניך הן סנהדרין שהם עינים לעדה, ההוא דכתיב והיה אם מעיני העדה; Midrasch haGadol zu Deut. 8, 9 hat eine ‎Midraschstelle zu Kohel. 2, 8: ברכות מים, זה בית דין הגדול שבלשכת הגזית und Tos. Sota XIV 7, jer. IX 24b 11: ... וכי מה הוחה טנהדרי [ודולה] מועלת לישראל. אלא לענין שנאמר ואם העלם יעלימו עם הארץ, משהיתה סנהדרי קיימת חיו נפרעין Vgl. auch ‎Vgl. auch Sifre Deut. 41 p. 59b: עיניך, אלו הזקנים המתמנים על הצבור, שנאמר והיה אם מעיני העדה nach Jalkut zu Cant. 7, 5.


Quaderkammer überliefert werden. Die Mischna Eduj. VII 4 erzählt nämlich: R. Sadok bezeugte, daß fließendes Quellwasser, das man über ein Blatt des Nußstrauches hat strömen lassen, (zur Sprengung von Reinigungswasser) noch verwendbar sei; denn dieser Fall trug sich in Oholia zu und wurde vor die Quaderkammer gebracht und sie erklärten das Wasser für verwendbar (vgl. Para VI 14, b. Zebach. 25b). Da wird die Körperschaft mit der Kammer derart verwachsen gedacht, daß es einfach heißt: vor die Quaderkammer, ohne das beth-din auch nur zu nennen, wenn es auch im Plural von והכשירוהי zum Vorschein kommt. In der Mischna Pe’a II 6 lesen wir: Simon aus Mishpa säete in Gegenwart des R. Gamaliel I und sie beide gingen zur Quaderkammer hinauf und legten die Frage vor, wie man sich hinsichtlich der Feldecke zu verhalten habe, wenn man das Feld mit zweierlei Weizen besäet hat. Da antwortete ihnen Nachum, der Libellar: Ich habe die Überlieferung von R. Mi’ascha, der sie von meinem Vater, der sie von den Paaren, die sie von dem Propheten als Offenbarung an Moses auf dem Sinai überkommen hatten, daß, wenn man ein Feld mit zweierlei Weizen besäet, man nur eine Feldecke stehen zu lassen braucht, wenn der Ertrag auf einer Tenne bearbeitet wird, dagegen zwei Feldecken, wenn dieser auf zwei Tennen kommt. Auch hier ist die Behörde in der Quaderkammer als ständig, jedermann zugänglich und, wie es scheint, zu jeder Zeit am Tage amtierend vorausgesetzt. Und es ist, solange nichts dagegen spricht, anzunehmen, daß es dieselbe ist, die in den oben genannten Stellen als das große oder 71gliedrige Synedrion, das große oder 71gliedrige beth-din in der Quaderkammer angeführt wird.
Allgemein wird und zwar ohne jedes Bedenken angenommen, dieses Synedrion in der Quaderkammer sei mit dem Synedrion des Josephus und der Evangelien identisch, besonders da beide denselben Namen führen und beide als die höchste Behörde der Juden in Jerusalem sich darstellen. Aber schon der ständige Zusatz שבלשכת הגזית in den angeführten Stellen hätte Zweifel an deren Identität erregen und die Untersuchung der Frage veranlassen müssen, da er ein anderes großes Synedrion, das seinen Sitz anderwärts hat, vorauszusetzen scheint; dieses andere könnte eben der oberste Gerichtshof sein. Da jedoch die Ortsangabe möglicherweise einen anderen Inhalt und Zweck hat und uns weitere genauere Berichte, welche die Behörde in der Quaderkammer ausdrücklich nennten, nicht zur Verfügung stehen, kann der geäußerte Zweifel nicht aus den wenigen Stellen selbst verstärkt und beseitigt und können hieraus auch die Beziehungen dieses Synedrions zu dem der außertalmudischen Quellen nicht festgestellt werden. Halten wir zunächst fest, daß weder Josephus, noch die Evangelien von ihrem Synedrion irgendwelche die Priester und den Tempeldienst betreffende oder überhaupt religionsgesetzliche Entscheidungen oder Verhandlungen melden; sondern, wie ja allgemein bekannt ist, ausschließlich strafrechtliche Gerichtsverhandlungen und Strafurteile und vielleicht Verfügungen politischer Natur. Andererseits befaßte sich dass große beth-din in der Quaderkammer nach den talmudischen Nachrichten mit keinem dieser Gegenstände, sondern behandelte, wie wir gesehen, einesteils Fragen, die den Tempel selbst und seine Priesterschaft, anderenteils das in den Kreis des Opferdienstes gehörige Reinigungswasser und die zu den Abgaben gezählte Feldecke betrafen.
Nur zweimal, soweit mir bekannt ist, tritt bei Josephus die Körperschaft, die von den Forschern als das Synedrion angesehen wird, in Beziehung zum Tempeldienst. Einmal in Bell. II 17, 2—4, 409 ff., als auf Anregung des Tempelstrategen Eleazar, des Sohnes des Hohenpriesters Ananias, die diensttuenden Priester beschlossen, von Heiden für den Tempel kein Geschenk und Opfer mehr anzunehmen; καὶ πολλὰ τῶν τε ἀρχιερέων καὶ τῶν γνωρίμων παρακαλούντων, μὴ παραλιπεῖν τὸ ὑπὲρ τὼν ἡγεμόνων ἔϑος, οὐχ ἐνέδοσαν (410). Ἠ1οσαιῖ συνελθόντες οἳ ὀυνατοὶ τοῖς ἀοχιερεῦσιν εἰς ταὐτὸ καὶ τοῖς τῶν Φαρισαίων γνωρίμοις (3, 411) und sie berufen das Volk vor das eherne Tor, um die Abänderung der Maßregel herbeizuführen. Die von Josephus ausführlich geschilderte lange Verhandlung verrät auch nicht die leiseste Spur dessen, daß die Körperschaft, die hier aus der Vereinigung der Hohenpriester, der Vornehmen und der pharisäischen Führer gebildet ist und das Synedrion sein soll, auf den ihnen peinlichen Beschluß der diensttuenden Priester hätte von rechtswegen Einfluß nehmen oder dagegen Einspruch erheben können; obwohl es die Vornehmen, wie ihre Reden zeigen, sicherlich nicht unterlassen hätten, zu betonen, daß den diensttuenden Priestern das Recht gar nicht zustand, ohne das Synedrion einen den Opferkult betreffenden Beschluß zu fassen. Dieser Erwägung kann nicht entgegengehalten werden, daß sich der Vorfall schon in der Zeit des Krieges zutrug und daher nicht als Zeugnis für den gesetzmäßigen Hergang in ruhigen Zeitläuften gelten könne, da bereits Gewalt an Stelle des Rechtes getreten war. Denn die durch vorgeführte Zeugen bekräftigte Auseinandersetzung der Hohenpriester betont von Anfang bis Ende den Standpunkt des Gesetzes und des bisherigen Brauches; trotzdem wird mit keinem Worte die Gesetzlichkeit der Verfügung angefochten.
Der bisher beobachtete Brauch wird nur dargelegt, damit die Urheber der beschlossenen Abänderung überzeugt werden, daß sie sachlich nicht recht gehandelt haben; aber als ungesetzlich wird ihr Vorgehen nicht gestempelt. Nimmt man noch hinzu, daß Josephus es nirgends unterläßt, die Beschlüsse der Revolutionäre als Eingriffe in ihnen nicht zustehende Rechte und als Übertretung des Religionsgesetzes darzustellen (Bell. IV 3, 6. 147; 7, 152), ja sogar die von Agrippa II ausgehende Erlaubnis, daß Leviten linnene Kleider tragen dürfen, als eine folgenschwere Sünde auszumalen (Antiquit. XX 9, 6, 218), so wird man auch aus seiner Enthaltung von einem solchen Urteile in diesem Falle Schlüsse ziehen und hierin die Bestätigung dessen sehen dürfen, daß das Synedrion auf den Gang des Opferdienstes und die Annahme oder Zurückweisung von Opfergaben an den Tempel keinen gesetzlichen Einfluß hatte.
Das Gleiche zeigt ein zweiter Fall bei Josephus (Antiquit. XX 9, 6, 216), als die levitischen Psalmensänger den König Aerippa II bitten, er möge das Synedrion versammeln und ihnen bei demselben das Recht, den Priestern gleich linnene Kleider zu tragen, erwirken. Der König μετὰ γνώμης τῶν εἰς τὸ συνέδριον ἐποιχομένῶν gestattet hierauf den Psalmensängern das Tragen solcher Gewänder und erlaubt außerdem den Leviten, welche im Heiligtum Dienstarbeiten verrichteten, auf ihr Ersuchen, die Psalmen zu erlernen. Hier wirkt an dem Beschlusse das Synedrion mit; aber beachtenswerterweise zweifelt auch Schürer (II 196, 17) daran, daß hier, wie z. B. noch Kuenen (Ges. Abhandlungen 61) annimmt, das große Synedrion gemeint sei, und er verweist auf Wieseler (Beiträge 217), der hierin eine Versammlung der Priester erblickt, weil Agrippa II nicht die ‏προστασία τοῦ ἔθνους,‎ wohl aber die Sorge für das Heiligtum und das Recht der Ernennung des Hohenpriesters hatte. Diese Begründung Wieselers ist völlig überzeugend, wenn auch nicht der mindeste Beweis dafür zu entdecken ist, daß es sich um eine Priesterbehörde handelt. Schon die bloße Erwägung, daß eine solche doch sicherlich aus vornehmen Priestern bestand, die ihre Zustimmung kaum dazu gegeben hätte, die tieferstehenden Leviten, wenn auch nur in einer Äußerlichkeit, in die Reihe der Priester aufsteigen zu lassen, spricht entschieden dagegen. Es gab sonach noch eine Körperschaft, die τὸ συνέδριον bezeichnet wurde; und diese könnte die Behörde in der Quaderkammer gewesen sein, die ja, wie die Mischna und R. Joses Bericht lehren, über die Zulassung der Priester und der Leviten zum Opferdienste entschied (s. weiter). Wie dem auch sei, so ist in dieser Begebenheit nicht nur kein Beweis für die Zuständigkeit des großen Synedrions in der Frage der den Tempel betreffenden Erhebung der Leviten zu finden, sondern auch ein Beleg für das Vorhandensein eines zweiten Synedrions in Jerusalem. Somit wird man, wenn das Fehlen eines ähnlichen, in den Kreis des Opferdienstes gehörigen Falles in Verbindung mit dem Synedrion, wie auch die Nichterwähnung von Strafurteilen und strafgerichtlichen Verhandlungen in den zahlreichen Sätzen über die Behörde in der Quaderkammer nicht auf bloße Zufälligkeiten in den beiderseitigen Quellen zurückgeführt werden soll, die beiden Synedrien als von einander völlig verschieden und demnach als gleichzeitig neben einanderbestehend und wirkend anerkennen müssen.
In der Tat scheint mir eine Stelle in der Mischna beide neben einander zu nennen, was, falls richtig, schon allein einen sicheren Beweis für die Tatsächlichkeit der aus den eben besprochenen Stellen erkannten Verhältnisse abgeben könnte, aber keinesfalls als einziger die ganze Last der Behauptung zu tragen braucht. In Synhedr. XI 2—4 wird das Verfahren gegen den Lehrer geschildert, der öffentlich etwas dem Gesetze Widersprechendes vorträgt. Nachdem die Behörde seines Wohnortes seine von der allgemein giltigen abweichende Ansicht vernommen hat, muß er sich nach Jerusalem begeben, um seinen Standpunkt den dortigen Behörden zur Prüfung und behufs Feststellung seines Widerspruches mit dem anerkannter Gesetze vorzutragen. Er tritt schließlich לבית דין הגדול שבלשכת הגזית שממנו יוצאת תורה לכל ישראל, שנאמר מן המקום ההוא אשר יבחר, vor das große beth-din in der Quaderkammer, von wel-‎chem nach Deuter, 17, 10 die Belehrung für ganz Israel ausgeht,‏ ‎und kehrt, nachdem er dort die als richtig erkannte Ansicht‏ ‎über den strittigen Punkt gehört hat, in seine Stadt zurück.‏ ‎Lehrt er auch nachher Abweichendes, so wird er zum Tode ‎verurteilt, aber ‏ אין ממיתין אותו לא בבית דין שבעירו ולא בבית דין שביבנה, אלא מעלין אותו לבית דין הגדול שבירושליםי die Verurteilung und die Hin‎richtung erfolgt nicht beim Gerichte seiner Stadt, sondern man‏ ‎führt ihn hinauf zum großen beth-din in Jerusalem. Da ist die‏ ‎Frage, ob es sich bei der Verurteilung des Lehrers und seiner Hin‎richtung in der Hauptstadt um dieselbe Behörde handelt, wie bei‏ ‎der Feststellung seines Widerspruches gegen das Gesetz. Denn‏ ‎im ersten Falle heißt die Körperschaft das große beth-din in der‏ ‎Quaderkammer, im zweiten das große beth-din in Jerusalem.‏ ‎Dieses könnte allerdings auf die hier ohnehin nahegelegte‏ ‎Verschiedenheit der Quellen für die einzelnen Sätze des Be‎richtes zurückgeführt werden (s. weiter); und auch an sich ist‏ ‎der aus dem Wechsel der Bezeichnungen für die Behörden‏ ‎gewonnene Beweis leicht entkräftet. Denn im Parallelberichte‏ ‎über die Behandlung des widerspenstigen Lehrers (Sifre Deut. 154): ‏ ועשית על פי הדבר אשר יגידו לך וגומר, על הוראת בית דין הגדול ‏ שבירושלים חייבים מיתה ואין חייבים מיתה על הוראת בית דין שביבנה wird das ‎beth-din, das den Widerspruch feststellt, genau so als das‏ ‎große in Jerusalem bezeichnet, wie in der Mischna das das‏ ‎Todesurteil fällende;32 ebenso in der entsprechenden Stelle im‏
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33) Hier erscheint das beth-din in Jabne dem großen beth-din in Jerusalem gegenübergestellt, umgekehrt in der Mischna. Da in beiden Fällen in der Bezeichnung der Behörde שבירושלים sich findet, könnte angenommen werden, dieser Zusatz sei nur aus Rücksicht auf das gegenübergestellte Jamnia gewählt, sei aber mit dem häufigeren שבלשבת הגזית gleichbedeutend. In Wahrheit aber hätte dieses letztere Wortpaar den Gegensatz noch schärfer ausgedrückt, da es den Sitz des beth-din noch genauer hervorgehoben hätte. Aus der Nennung Jamnias ergibt sich das Alter dieser tannaitischen Berichte. Denn das Lehrhaus in dieser Stadt wurde bekanntlich von R. Jochanan b. Zakkai nach dem Jahre 70 gegründet und bestand wahrscheinlich bis zum Ausbruche des bar-Kochbakrieges; so daß diese Sätze der Zeit, deren Verhältnisse sie in akademischen Erörterungen behandeln, ziemlich nahestehen und schon deshalb Glauben verdienen. Freilich, wenn die Annahme begründet werden könnte, daß Jamnia schon vor dem Jahre 70 ein Lehrhaus und ein großes beth-din hatte, eine Ansicht, die sich auf die in b. Gittin 56b beschriebene Bitte des R. Jochanan b. Zakkai an Vespasian um Jabne und


Sifre II (Midr. haGadol zu Deut. 17, 8, Hoffmann, Collectan. 18): ‏כי יפלא ממך דבר למשפט, בא הכתוב לעשות בית דין הגרול על כל בתי דינין, כשם ‏שבית דינו של משה על כל בתי דינין. כך בית דין הגדול שבירושלים על כל בתי דינין. ‎ Denselben Wechsel in den Bezeichnungen nehmen wir in einem bald zu erörternden Falle wahr, wo es sich um eine Entscheidung in religionsgesetzlichen Fragen handelt und Sifra p. 19a: ‏העדה המיוחדת שבישראל. ואיזו, זו סנהדרי גדולה היושכת בלשכת הגזית,‎ ebenso Tos, Horaj, I 3 (jer. I 45c 15, ‏vgl. i 46a 68, Peßach. VII 34c 27): ‏בהוראה עד שהורו בית דין שבלשכת הגזית, ובדיני נפשות נוהגין בכל מקום,‎ ausdrücklich das beth-din in der Quaderkammer nennt; die entsprechende Mischna Horaj. I 5 dagegen, ebenso in Sifre Numeri 111, p. 32a R. Jonathan und R. Jehuda, letzterer auch in b. Horaj. 5b ‚בית דין הגדול wenn auch ohne den Zusatz ‏שבירושלים,‎ so doch auch ohne Hinzufügung ‏שבירושלים הגזית gebraucht. Es ist sonach auf die Art der Bezeichnung der hohen Behörde kein Gewicht zu legen. Aber es gilt dieses natürlich nur für zwei von einander völlig gesonderte Berichte; während sich unsere Behauptung betreffs der Verschiedenheit der zwei in der Mischna Synhedr. XI 2—t genannten Behörden auf die Tatsache gründete, daß die Bezeichnung innerhalb derselben Schilderung wechselt und auch die ganze Darstellung der Mischnastelle die Verschiedenheit der Behörden ziemlich deutlich hervortreten läßt. Als weiterer Beweis für diese kommt noch hinzu, daß das Todesurteile fällende oberste Gericht auch ohne jede weitere Ortsangabe bloß als סנהדרי גדולה bezeichnet wird,34 so in Sifre Deut. 144, Mischna Synhedr. 1 5: ‏בכל שעריך, בא‎
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dessen Weise und auf unsere Mischna gründet (vgl. Herzfeld in Frankels Monatsschrift III 1854, 223, Derenbourg, Essai 285, 1, Hoffmann, Der oberste Gerichtshof 47), so wäre der Bericht der Mischna noch älter; aber die Hypothese hat wenig für sich. Die Bemerkung eines anonymen Tannaiten zu einem Worte derselben Bibelstelle, zu Deut. 17, 9 in Sifre Deut, 153, jer. Synhedr. XI 30a 49: ובאת, לרבות בית דין שביבנה‎ setzt nicht den gleichzeitigen Bestand des beth-din in der Quaderkammer und des in Jabne voraus, sondern will nur diesem dieselben Rechte zuerkennen, die seinerzeit das erstere hatte. Sie gehört gleichfalls den Jahren zwischen 70 und 130 an. Auch ist hier bloß von der religiösen Seite der Entscheidung, nicht vom Todesurteile die Rede.
34) Die Mischna Makkoth 1 9. 10: שלא תהא סנהדרין שומעת מפי התורגמן und סנהדרין ‏נוהנת בארץ ובחוצת לארץ .... סנהדרין ההורגת אחת בשבוע נקראת חובלנית .... רבי טרפון ורבי עקיבא אומרים, אילו היינו בסנהדרין לא נהרג אדם מעולם, spricht‎ mehreremale vom Synedrion; da aber auch vom Synedrion im Auslande die Rede ist, so kann darunter nicht der oberste Gerichtshof in Jerusalem gemeint sein, sondern jeder aus 23 Mitgliedern bestehende Strafgerichtshof, der das Recht


hat, הכתוב והקיש סנהדרי קטנה לסנהדרי גדולה, מה גדולה דנה והורגת אף קטנה דנה והורגת, und Sifr 91c (Jalkut I 619): מנין אם העלימו בסנדריות של שבטים שסוף שסנהדרי גדולה מעלמת ודיני נפשות נטלין מהם. Die bisher untersuchten ‎tannaitischen Sätze machen es, auch wenn wir von der wegen‏ ‎ihrer Zusammensetzung zweifelhaften Mischna Synhedr. XI‏ ‎absehen müßten, jedenfalls klar, daß das große Synedrion‏ ‎in Jerusalem, das Todesurteile fällte, von dem großen beth-din in‏ ‎der Quaderkammer, das sich mit הוראה oder ‚תורה mit Entschei‎dungen in religionsgesetzlichen Fragen befaßte, verschieden ist.‏
Da diese Unterscheidung zweier obersten Behörden in Jerusalem eine völlie neue und für alle weiteren Untersuchungen, wie überhaupt für das Verständnis und die Beurteilung der Angaben über die Synedrien in der Hauptstadt begreiflicherweise von großer Bedeutung ist, müssen gleich jetzt, ehe weitere Belege für die Richtigkeit des erzielten Ergebnisses angeführt werden, jene Stellen besprochen werden, die für die Identität der beiden Körperschaften zu sprechen scheinen. So lesen wir in der Mekhilta p. 74a unten: ‏‎ אשר לא תנלה ערותך עליו ואלה המשפטים אשר השים לפניהם, נמצינו למדים שסנהדרין באין35 בצד המזבח, אף על פי שאין דאיה לדבר זכר לדבר; שנאמר וינס יואב וגומר ויחזק בקרנות המזבח‎ Da wird aus der unmittelbaren Aufeinanderfolge der Rechtsvorschriften in Exod. 21, 1 und der Bestimmungen über den Bau des Altares in Exod. 20, 24—26 geschlossen, daß das Todesurteile fällende Synedrion seinen Sitz an der Seite des Altares haben müsse. Dasselbe ist noch bestimmter in einem Fragmente aus der Mekhilta des R. Simon b. Jochai (im Midr.
haGadol zu Exod. 21, 14)36 ausgesprochen: ‏מעם מזבחי תקחנו למות.‎
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Todesurteile zu fällen. Freilich bleibt die ganze Mischna trotzdem schwierig, da die Bezeichnung סנהדרין für den obersten Gerichtshof in Jerusalem in Anspruch genommen war; um so mehr, als in derselben Stelle zwischen den angeführten Sätzen steht: ‏‏מי שנגמר רינו ובא לפני אותו בית דין אין סותרין את דינו. כל מקום שיעמדו שנים ויאמרו, מעידין אנו באיש פלוני שנגמר דינו בביה דין של פלוני, ופלוני ופלוני עדיו. הרי זה יהרג‎ und zweimal für die Strafgerichte im allgemeinen ביה דין‎ gebraucht wird. Es scheint mir daher, daß, wenn סנהדרין allein steht, das kleine Gericht in Jerusalem gemeint ist und die Tannaiten an diesem, von dem allein sie genauere Kenntnis hatten, exemplifizierten. Vgl. auch den Satz R. Akibas in b. Makkoth 12a: ‏מנין לסנהדרין שראו אחד שהרג את הנפש שאין ממיתין אותו עד שיקמוד בבית דין אחר,‎ wo Tos. Makk. III 7 ‏בית דין הגדול‎ hat.
35) Jalkut zu Exod. 20 Ende § 306 hat: ‏נמצינו למדין שסנהדרין מפדרין דירתן בצד המזבח.‎ Vgl. Friedmann in seiner Mekhilta p. 121b Nr. 5.
36) Vgl. Lewy, Ein Wort über die Mechilta des R. Simon 7 und Friedmann, Mekhilta 121b Nr. 5.


מנין שתהא סנהדרין סמוכה למזבח. תלמוד לומר מעם מזבחי תקחנו למות. ומנין שאין ממיתין אלא בפני הבית, תלמוד לומר מעם מזבחי תקחנו למות, הא אם יש מזבח אתה ממית ואילאו אי אתה ממית. מכאן אמרו, ארבעים שנה קודם חורבן בית שני בטלו דיני נפשות מישראל מפני שגלו סנהדרין ולא היו במקומן במקדש.37
Beruht diese Deutung, wie anzunehmen ist, auf tatsächlichen Verhältnissen, so‏ ‎muß das Synedrion bis zu den letzten Jahrzehnten vor der‏ ‎Tempelzerstörung in der nächsten Nähe des Altares, d. h. in‏ ‎einer der Kammern des inneren Vorhofes seinen Amtssitz gehabt‏ ‎haben, ist somit sehr wahrscheinlich mit dem Synedrion in‏ ‎der Quaderkammer identisch. Doch ist dieser Schluß unbe‎gründet, da daraus, daß das Synedrion in der Nähe des Altares‏ ‎sich befand, noch keineswegs folgt, daß die Kammer, die ihm‏ ‎als Versammlungsort diente, die Quaderkammer gewesen sein‏ ‎müsse. Denn die Parhedrinkammer z. B. stand, als in der Nähe‏ ‎des Osttores gelegen, dem Altare viel näher und war tatsäch‎lich, wie wir gesehen, der Versammlungsort der Buleuten. Die‏ ‎Meldung des zuverlässigen R. Jose b. Chalafta von der Wande‎rung des Synedrions aus der Quaderkammer (b. Sabb, 15a),38‏
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37) Statt des durch מכאן eingeleiteten Satzes hätten wir als entsprechender dasselbe erwartet, was als Schluß des Satzes im Midr. haGadol zu Deut. 17,9 (vgl. Hoffmann, Collectaneen 19 Nr. 9) sich findet: ‏בומן שיש כהן יש משפט ובזמן שאין ‏כהן אין משפט, מכאן אמרו. אין דנין דיני נפשות אלא בפני הבית‎ denn keinesfalls folgt aus der mitgeteilten Bestimmung, daß die Strafgerichtsbarkeit nach der Auswanderung des beth-din aufhören müsse.
38) Die Richtigkeit dieser Meldung von der Auswanderung des Synedrions von seinem alten Versammlungsorte auf Grund bloßer Erwägungen über den geringen Wert talmudischer Nachrichten anzuzweifeln, geht ebensowenig an, wie die gleiche Behandlung nichttalmudischer Angaben im selben Falle. Der Gewährsmann dieser Meldung ist, wie b. Sabb. 15a berichtet, R. Jose, der auch anzugeben weiß, wohin das Synedrion ausgewandert ist: ‚וישבה לה בחנויות und er verdient vollen Glauben. Nur darf man weder die Zahl der 40 Jahre vor der Zerstörung, noch die in dem Ausspruche des R, Jose gar nicht enthaltene, nur von den Amoräern gegebene, von Grätz III 782 nach jer. Synhedr. I 18a 43, VII 24b 55: ‏תני, קודם לארבעים שנה עד שלא חרב בית המקדש ‏ניטלו דיני נפשות מישראל‎ gleichfalls angenommene ursächliche Verknüpfung von dem Aufhören der peinlichen Gerichtsbarkeit mit der Auswanderung des Synedrions aus der Quaderkammer als genau anerkennen. Auch im Sifre zutta (in Jalkut Numeri 787) lesen wir von dieser Auswanderung des Synedrions: ‏מות יומת המכה, אין במשמע אלא בזמן שהסנהדרין במקומה. בזמן שאין הסנהדרין במקומה, נההייב אדם סקילה ביתו נופל עליו או חיה גוררתו Die Parallelstelle in b. Sota 8b, Kethub. 30ab lautet etwas verschieden: ‏אמר רב יוסף וכן תני רבי הייא, מיום שחרב בית ‏המקדש אף על פי שבטלה סנהדרי,.ארבע מיתות לא בטלו, מי שנתחייב סקילה או נופל מן הנג או חיה דורסתו in Synhedr. 37b‎ וכן תני הזקיה (Vgl. auch Toßafothzu dieser Stelle s. v. מיום mit dem Sifre zutta.) Als Parallelstelle ist auch noch der bei Ray-

aus der unmittelbar gefolgert wurde, daß das über Tod und Leben urteilende Synedrion in der Quaderkammer seinen Sitz hatte, enthält in Wahrheit gerade die Einzelheit nicht, die hierzu berechtigte. Denn es fehlt auch der leiseste Hinweis darauf, daß in dieser Kammer ein Strafgerichtshof wirkte, und ebenso fehlt der vom Midrasch haGadol, wie von den babylonischen Amoräern angenommene ursächliche Zusammenhang zwischen dem Aufhören der jüdischen Strafgerichtsbarkeit
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mundus Martinus im Pugio fidei II 43 (ed. Leipzig p. 313) angeführte Satz zu nennen, auf den mich Herr A. Epstein aufmerksam machte: ‏‎ ‏‎ומה לא יסור שבט מיהודה. אלא לומר לך, שלא נתן כח לסנהדרין לדין דיני נפשות אלא בל זמן שיושבין בלשכת הנזיתי שכוון שגלו משם למקום אחר בטלו דיני נפשות. שנאמר ועשית על פי הדבר אשר ינידו לך מן המקום ההוא, ‏מלמד שהמקום גורם Raymundus hat diese Stelle, wie er in III 3, 15, 46 p. 872 ausdrücklich vermerkt, aus dem Buche des R. Mose haDarschan genommen. Die Quelle dieses kann nicht alt sein, da sie bereits die amoräische Verknüpfung der Auswanderung des Synedrions mit dem Aufhören der Strafgerichtsbarkeit verwertet. In b. Rosch haSchana 31ab zählt der Amoräer R. Jochanan die Wanderungen des Synedrions auf: ‏מלשכת הגזית לחנות ומחנות לירושלים ומירושלים ליבנה, ‎ und kennt offenbar auf Grund tannaitischer Quellen, wie aus dem Ausspruche des R. Jose, dieselbe Übersiedelung aus der Quaderkammer nach der חנוה. Nicht nur die Wahrnehmung, daß R. Jochanan das Lehrhaus unter dem Vorsitze der späteren Patriarchen in Jamnia, Uscha, Sepphoris und Tiberias als die Fortsetzung des Synedrions bezeichnet, macht es klar, daß er nicht das Synedrion als das oberste Gericht meint, sondern es fehlt auch, wie schon erwähnt, jedwede Angabe darüber, daß diese Wanderung der Behörde irgendwie mit der peinlichen Gerichtsbarkeit zusammenhängt, ‏מכאן אמרו‎ im Satze des Midrasch haGadol, das oft auf alte Quellen binweist, ist bei diesem späten Werke kein Merkmal des Alters, ja nicht einmal das einer Quelle überhaupt, da sich der Compilator dieser Einleitungsformel selbst als Hinweis auf spätamoräische Sätze im Talmud bedient. Lehmann (Revue d. Etudes Juives XXXVII 1898, 12) gibt die Talmudstelle in b. Aboda zara 8b derart wieder, als ob sie die Auswanderung der Behörde aus der Quaderkammer und das Aufhören der Strafgerichtsbarkeit in der Baraitha selbst zusammen berichten würde, was aber unrichtig ist; vgl. Derenbourg, Essai 465 ff. Vgl. auch noch Jalkut zu Genes. 49 § 161, der aus unbekannter Quelle anführt: Jakob sah voraus, daß Jerusalem zerstört und das Synedrion von seiner Stelle im Stammgebiete Judas verdrängt werden und im Gebiete Zebuluns sich niederlasen werde: ‏לפי שבתחלה גלתה סנהדרין וישבה לה ביבנה ומיבנה לאושא ‏ומאושא לשפרעם ומשפרעם לבית שערים ומבית שערים לצפורי וצפורי היא חלקו של זבולון ואחר כך גלתה מעפורי לטבריא Es ist aus den einleitenden Worten ersichtlich, daß der Urheber dieses Satzes zu der Zeit gelebt hat, als das Synedrion sich in Sepphoris befand, also unter dem Patriarchen Jehuda I. Es ist jedoch unbegründet, wenn Grätz in Frankels Monatsschrift II 1853, 149, 6 meint, die Stelle kenne die in b. Rosch haSchana 31a genannten Stationen in Jerusalem nicht und sei die ursprünglichere; es werden vielmehr die anderen Stationen bloß nicht berücksichtigt.


und der Auswanderung der Behörde aus der Quaderkammer.
Wohl berichtet eine Baraitha in, jer. Synhedr. I 18a 43, daß die peinliche Gerichtsbarkeit den Israeliten 40 Jahre vor der Zerstörung des Tempels genommen wurde; aber da wieder steht nichts von der Auswanderung des Synedrions als Ursache dessen. Und da außer der von allen Forschern als rund anerkannten Zahl der 40 Jahre, die in den zwei Meldungen sogar verschiedene Zeitpunkte bezeichnen können, auch nicht das Geringste dafür spricht, daß die in ihnen berichteten Ereignisse auch nur zeitlich einander nahestehen, so bietet weder die tannaitische Überlieferung, noch irgend eine andere palästinisch-amoräische Angabe einen Grund dar, die beiden Tatsachen mit einander zu verbinden; wie auch die Verschiedenheit der so bezeichnenden Ausdrucksweise in den beiden Meldungen gegen deren Zusammengehörigkeit spricht.
Für die Identität des Synedrions und des beth-din in der Quaderkammer scheint bestimmter die Schilderung des Josephus (Bell. IV 5, 4, 335—44) von der Sitzung des Synedrions zu sprechen, das die Zeloten während des großen Krieges niedergesetzt haben. Sie berufen nämlich 70 Männer aus dem Volke und führen Zacharias, Baruchs Sohn vor, den sie des Landesverrates an die Römer beschuldigen. Als ihn aber die Richter einstimmig freisprechen, erheben die bei der Verhandlung anwesenden Zeloten ein Geschrei über die Richter, die die Absicht ihrer Auftraggeber nicht hatten verstehen wollen. Zwei der verwegensten Zeloten fallen über Zacharias her, töten ihn inmitten des Heiligtums und verjagen dann die Richter mit der Klinge aus der Umfassungsmauer. Aus der ganzen Erzählung ist zunächst klar, daß dieser aus 70 Mitgliedern bestehende Gerichtshof seine Sitzung im Tempel abgehalten hat. Da sich nun die Zeloten, wie die Zahl der Richter zeigt, an das früher bestandene Synedrion hielten, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß auch die Einberufung des Gerichtes in den inneren Vorhof dem Bestreben entsprang, die alte Form streng zu wahren; d. h. das Synedrion hatte im inneren Vorhofe des Tempels seinen ständigen Versammlungsort.39 Es wäre allerdings auch möglich, daß sich die
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39) Ich weiß nicht, ob das Vorgehen der Zeloten bei der Einberufung des Synedrions mit dem entsprechenden des Hohenpriesters Anan im gleichen Falle bereits verglichen wurde. Beide berufen ein Synedrion ein; die Mit-


Zeloten in ihrem Vorgehen nicht an das zu ihrer Zeit bestandene Synedrion gehalten haben, sondern, um ihren streng gesetzlichen Standpunkt hervorzukehren, auf das älteste Muster, das biblische zurückgriffen. Nach diesem war nämlich der oberste Gerichtshof am Altare40 und die unter den als Richter Einberufenen gewiß zahlreichen pharisäischen Lehrer mögen sie darin bestärkt haben, diesem Vorbilde zu folgen. Da wir jedoch aus den früher behandelten Talmudstellen erkannt haben, daß sich der oberste Gerichtshof auch in den letzten Jahrzehnten vor der Tempelzerstörung in der Nähe des Altares versammelte, so haben wir in dem Vorgehen der Zeloten nicht ein Zurückgreifen auf die alten Verhältnisse zu sehen, sondern
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glieder, die die Zeloten erwählten und die Josephus nicht entsprachen, sind τῶν ἐν τέλει δημοτῶν, während sonst ol &v reisı οἱ ἐν τέλει als Synedristen fungierten. Da jene nach ihrem einstimmig freisprechenden Urteile sicher keine Zeloten, andererseits, wie schon aus dem Charakter der Einberufer folgt und δημοτῶν ausdrücklich besagt, nicht aus den vornehmen Kreisen stammten, so waren sie wahrscheinlich die Führer des Volkes, durch ihre öffentliche Tätigkeit oder wegen ihrer Gelehrsamkeit angesehene Pharisäer. Da οἱ ἐν τέλει gewöhnlich die an der Spitze Stehenden bezeichnet, dürften auch die neuen Synedristen bisher kaum dem Privatleben oder bloß, den Schulen angehört haben und erst von den Zeloten zum Eintritt in die Öffentlichkeit veranlaßt worden sein; nur als Mitglieder des Synedrions waren sie Neulinge und wurden ἐξ ἐπιτάγματος einberufen. Man könnte hieraus schließen, daß die Berufung der Mitglieder in das Synedrion auch in ruhigen Zeiten nicht von einem Einzelnen, sondern von der Körperschaft ausging, welche die oberste Macht in Jerusalem darstellte, den ἀρχιερεῖς.. Beim Hohenpriester Anan (Antiquit, XX 9, 1, 200), der καϑίξει συνέδριον κριτῶν, ist der Fall genau derselbe; nur sind die Mitglieder natürlich vornehme und dem Einberufer an Gesinnung gleiche.
Und da ist die Frage ebenso begründet, ob es ständige Mitglieder des Synedrions waren, oder der Zusatz κριτῶν besagen will, daß es Männer vornehmer Abkunft waren, die zu Richtern erst für diese Gelegenheit berufen wurden. Vgl. Lehmann in Revue d. Etudes Juives XXXVIT 1898, 13 ff.
40) Im Pentateuch entspräche dem Gerichte am Altare die Behörde am Eingange des Offenbarungszeltes, wo bekanntlich der Altar stand und wohin sich laut Numeri 27, 2 die Töchter Schelafchads begeben: ‏לפני משה ולפני אלעזר הכהן ולפני הנשיאים וכל העדה פתח אהל מועד‎ ebenso in Numeri 15, 33, wo die Zeugen der Sabbathentweihung des Holzsammlers diesen ‏אל משה ואל אהרן ואל כל העדה‎ führen. Hiermit ist auch Josua 19, 51 zu vergleichen: ‏אלה הנחלות אשר נחלו אלעזר הכהן ויהושע בן נון וראשי האכות למטות בני ישראל בנורל בשלה לפני יי פתח אחל מועד. Wohl fällen diese kein Todesurteil, weil ein solches jedesmal von Gott selbst gefällt wird, aber sie scheinen doch als die oberste Behörde gedacht zu sein, Vgl. den Satz des Amoräers R. Eleazar in b. Synedr. 16a oben, daß die Aufteilung des Landes durch die 71 Mitglieder des Synedrions erfolgt ist.


ein unmittelbares Anknüpfen an die ihnen bekannte Gestaltung des Gerichtsverfahrens, die jenen genau entsprach. Und so gewinnen wir einen Beweis dafür, daß auch die Zeloten das Synedrion im inneren Vorhofe kannten. Und da es wahrscheinlich ist, daß in diesem Vorhofe nur Eine oberste Behörde wirkte, werden wir wieder zu der Annahme geführt, dab das beth-din in der Quaderkammer das Synedrion ist.41 Aber in Wahrheit bezeugt diese Schilderung, wie die früher behandelte, nur, daß der oberste Gerichtshof, der Todesurteile fällte, in der Nähe des Altares im inneren Vorhofe sich versammelte; aber nicht das Mindeste spricht auch dafür, daß ihm als Versammlungsort gerade die auf der Südseite gelegene Quaderkammer diente und das Synedrion mit dem ganz andere Fragen behandelnden beth-din42 identisch wäre. Es kann eher, wie
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41) Nicht hierher gehört das von Hegesippus (bei Euseb, Historia eccl, II 23, 11—18, Schürer I 582, 46) über die Hinrichtung des Jakobus Erzählte, wonach dieser von der Zinne des Tempels hinabgestürzt, dann gesteinigt und zuletzt von einem Walker mit einem Walkerholze totgeschlagen worden sein soll. Denn da handelt es sich gar nicht um eine Verurteilung durch ein Gericht, wie sie der interpolierte Bericht bei Josephus (Antiquit. XX 9, 1, 200) und der abweichende des Origenes (siehe Schürer I 581, 45) im selben Falle hat, sondern um eine Volksversammlung. Die Schriftgelehrten fordern Jakobus auf, dem zum Passahfeste versammelten Volke über Jesus Aufklärung zu geben und sich zu diesem Behufe auf die Zinne des Tempels zu stellen, um allen sichtbar zu sein. Da er über Jesus als Messias sprach, stiegen die Schriftgelehrten auf die Zinne des Tempels und stürzten Jakobus hinab. Wir werden sehen, daß Lehrer, die zum Volke sprechen wollten, von der Säulenhalle im Osten des Tempelberges redeten, und Zahn (Forschungen VI 223 ff.) hat ganz recht, wenn er sagt, Jakobus sei nach diesem Berichte von der Osthalle hinabgestürzt worden. S. Note 112.
42 Das beth-din in Jabne ist nicht als Fortsetzung des Synedrions, sondern als die des beth-din in der Quaderkammer geschaffen worden. Es ist demzufolge völlig ausgeschlossen, daß es über Tod und Leben geurteilt habe, wie Origenes (Epistola ad Afric. 14) erzählt: »Es finden auch heimlich Geriehtsverhandlungen statt nach dem Gesetz und manche werden zu Tode verurteilt, weder mit allgemeiner Ermächtigung hierfür, noch auch so, daß es dem Herrscher verborgen ist.« Schürer (I 658) und Mommsen (Röm, Strafrecht 120) und Andere schenken diesem Berichte vollen Glauben und Schürer nennt ihn sogar sehr anschaulich und authentisch; wiewohl Origenes selbst bemerkt, daß diese Sitzungen heimlich stattfanden, und man mit Recht fragen muß, woher er trotzdem hiervon mehr wußte, als die römischen Beamten, die über ihre Rechte in der Provinz eifersüchtig wachten. Hinzu kommt, daß Origenes die unangenehme Aufgabe hatte, gegen die wuchtigen Angriffe des Julius Africanus auf die Echtheit der Geschichte Susannas und


schon erwähnt, die in der unmittelbaren Nähe des Altares stehende Parhedrinkammer gewesen sein, die dem Synedrion gehörte.43 Es bleibt sonach das Ergebnis der obigen Untersuchung unerschüttert, daß die Behörde in der Quaderkammer, die Entscheidungen in religionsgesetzlichen Fragen abgab, den Stammbaum der zum Opferdienste sich meldenden Priester prüfte und das Gesetz feststellte, als sich gegen dasselbe eine abweichende Ansicht erhob, mit dem Synedrion des Josephus und der Evangelien, das Todesurteile fällte, nicht identisch ist.
Hiernach ist die Beziehung der talmudischen Nachrichten über das Synedrion oder das beth-din in der Quaderkammer auf das als oberster Gerichtshof bekannte Synedrion, wie die oft versuchte Vereinigung der beiderseitigen Angaben und die noch
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Daniels Beweise für die Möglichkeit der selbständigen Gerichtsbarkeit der Juden im babylonischen Exile zu liefern, was den Wert seiner Angabe nicht gerade erhöht. Findet sich doch selbst für bürgerrechtliche Fälle keine Angabe, daß das beth-din in Jabne als Gerichtshof fungiert hätte; es ist demnach der Schluß von solchen Entscheidungen auf die Kriminaljustiz bei Schürer grundlos. Vgl. noch den Satz aus der Mekhilta des R. Simon b. Jochai im Midr. haGadol zu Exod. 22, 14 (Friedmann, Mekhilta 121b Nr. 5, Lewy, Ein Wort über die Mechilta7): ‏ומנין שאין ממיתין אלא בפני הבית, תלמוד לומר, מעם מזבחי תקחנו למות, הא אם יש מזבח אתה ממית, ואי לאו אי אתה ממיתי‎ ‎ (oben S. 42). Sonderbareerweise hält auch Grätz in seiner Monatsschrift XXXIV 1885, 441 diese Meldung des Origenes für wahr und bezieht sie auf den Patriarchen Juda II, der nach talmudischen Angaben richterliche Gewalt ausgeübt haben soll. Aber in einem der beiden Fälle, b. Nidda 52a handelt es sich um die Auflösung einer Ehe, die R. Jochanan ihm als ungesetzlich bezeichnet und gegen die dieser seinen Beistand anruft, weil ihm kein Mittel zu Gebote steht, in der Sache etwas zu tun. Im anderen Falle, j. Kethub. IX 33a 19 bedient sich in ähnlicher Lage R. Simon b. Lakisch der Diener des Patriarchen, um einen Betrag dem rechtmäßigen Eigentümer zuzuführen, dem derselbe durch den irrigen Urteilsspruch eines Lehrers entzogen worden war. Es folgt hieraus nicht nur nichts für die Stellung des Patriarchen als Richter über Leben und Tod, sondern auch nichts für dessen richterliche Gewalt überhaupt; denn er ändert nicht etwa das Urteil des anderen Lehrers ab, sondern stellt dem ihm maßgebenden R. Jochanan und Simon b. Lakisch seine Privatdiener zur Verfügung, damit sie ihrer Ansicht Geltung verschaffen.
43) Freilich geht es dann nicht an, die βουλή, die nicht im Vorhofe des Tempels, ja nicht einmal auf dem Tempelberge stand, sondern in der Stadt, ohne jeden Beweis mit Schürer als Bezeichnung des Synedrions hinzustellen; vgl. Abschnitt III 2. Ferner ist zu beachten, daß die Kammer פרהדרין nur πάρεδροι, nicht πρόεδροι gelesen werden darf, da sie auch die der Buleuten hieß, die nicht alle Vorsitzende gewesen sein können. Vgl. jedoch Pauly Wissowa III 1026.


mehr beliebte, auf deren Unvereinbarkeit gegründete Verwerfung der betreffenden talmudischen Meldungen ganz unzulässig, weil völlig verfehlt. Die weitere Prüfung der zahlreichen Belegstellen in der talmudischen Literatur bestätigt das erzielte Ergebnis und ergänzt es nach verschiedenen Seiten.