3. Hillel, der Vorsitzende des beth-din, und der Naßititel.

Ein dritter Bericht, der seinen Anspruch auf Glaubwürdigkeit wohl nicht auf eine im Wortlaute erhaltene Urkunde gründet, dessen Inhalt aber sich anderweitig belegen läßt, behandelt den Großvater Simon b. Gamaliels I und ist von besonderem Interesse. In b. Peßach. 66a, jer. VI Anf. 33a, Tos, ‏IV 1 ‎wird nämlich erzählt, daß, als einmal der 14. Nissan, der Tag des Passah, auf den Sabbath fiel, die Frage aufgeworfen wurde, ob dieses Opfer mit Hintansetzung der Sabbathruhe dargebracht werden dürfe. Die Söhne oder die Ältesten Betheras wußten keinen Bescheid und es trat ein Babylonier hervor, der durch gelehrte Beweisführung und aus einem von seinen Lehrern überkommenen, das Passah betreffenden Lehrsatz die Zulässigkeit der Darbringung erwies, worauf die Betheras ‏הושיבוהו בראש ומינוהו נשיא עליהם‎ Tos.: בו ביום מנו את הלל נשיא jer.: עמדו ומינו אותו עליהן ihn zu ihrem Oberhaupte erwählten. Gegen die Glaubwürdigkeit der ganzen Schilderung wurden vielfache Bedenken geäußert, besonders von Chwolson (Das letzte Passahmahl 24ff.); und in der Tat sehen nicht alle Einzelheiten derselben vertrauenerweckend aus, Aber genügt die Naivetät der Darstellung in einer Meldung zur Anzweiflung oder gar zur Verwerfung des erzählten Vorganges? Man hat wohl das Recht, zum Verständnisse des Vorfalles selbst andere als die vom Erzähler angegebenen Gründe zu suchen und als richtiger anzunehmen; aber an den berichteten Tatsachen zu zweifeln, weil sie entweder nicht ganz verständlich sind, oder in das vorher frei gezeichnete Bild der Zeit und ihrer Verhältnisse nicht passen, geht unter keinen Umständen an. Wir werden, sobald die wahre Sachlage erkannt ist, vielmehr finden, daß die Schilderung im Vergleiche mit anderen dieselbe Zeit behandelnden uns ein ziemlich deutliches Bild der Vorgänge gibt.
Es ist zunächst zu beachten, daß die ganze Beweisführung Hillels von einer Voraussetzung ausgeht, ohne die sie überhaupt nicht verständlich und ohne deren Anerkennung eine Verständigung zwischen Hillel und seinem Gegner von vornherein ausgeschlossen ist, nämlich die grundsätzliche Gleichstellung des Passah mit dem täglichen Opfer. Das Passah wird von Hillel für ein Gemeindeopfer erklärt und auf dieser Grundlage wird durch logische Schlüsse erwiesen, daß die dem Tamid im Gesetze gewährten Vorrechte auf das Passah anzuwenden seien. Es ist daher ganz begreiflich, daß die Vertreter der Ansicht, das Passah sei überhaupt kein Gemeindeopfer, jede weitere Schlußfolgerung Hillels ablehnen, da sie den Grund dieser nicht anerkennen. Es fehlt dem Passah nämlich das erste Kennzeichen eines Gemeindeopfers: es ist nicht, wie dieses, ein aus einem oder aus mehreren Tieren bestehendes einziges Opfer, das im Namen des ganzen Volkes dargebracht wird, sondern jede Familie oder Vereinigung schlachtet ein Tier für sich; auch gehört es, wie ein Dank oder Mahlopfer, den Eigentümern, die es zu Hause in Jerusalem verzehren. Es nützte sonach keine Beweisführung, denn die Gegenpartei ging auf keine ein. Erst als sich Hillel auf die Überlieferung von Sema'ja und Abtaljon berief, in der jeder Hinweis auf die Gleichheit des Passah mit dem Tamid, wie überhaupt jede Begründung fehlte, erkannten die Betheras die Zulässigkeit der Darbringung des Passah am Sabbath an. Nach der Toßifta und dem babyl. Talmud sollen es allerdings Hillels Darlegungen über die Gleichheit der beiden Opfer gewesen sein, die seinen Sieg herbeiführten, — den Hinweis auf die Überlieferung hat die letztere Quelle überhaupt nicht, die erstere hat ihn nur als weiteren; Beleg; — doch verdient die Darstellung des jer. Talmuds, wie mir scheint und die Forscher dieses Berichtes angenommen haben, den Vorzug. Aus dem ganzen Hergange scheint mir klar, daß das Passah bis zur Zeit Hillels und seinem hier geschilderten Auftreten als ein vorgeschriebenes Privatopfer galt und nur die beschränkten Rechte eines solchen genoß, d.h. am Sabbath nicht dargebracht wurde. Wie man es ersetzte, kann auf Grund der dürftigen Quellen trotz aller von Chwolson aufgewandten Gelehrsamkeit nicht ermittelt werden. Ja, es scheint mir, daß das Passah in der Zeit vor Hillel überhaupt nicht allgemein als Pflichtopfer galt und von nur Wenigen dargebracht wurde und die Frage, wie damit am Sabbath vorzugehen sei, sich erst ergab, als es durch irgendwelche außerordentliche Anregung allgemein wurde. Es dürften die Lehrer Hillels hierzu den Anstoß gegeben haben. Denn in b. Peßach. 70b, dem bereits erwähnten Berichte heißt es: R. Jehuda b. Dorthai zog sich mit seinem Sohne zurück und ließ sich im Darom nieder; er sagte nämlich: wenn Elijahu einst kommen und den Israeliten sagen wird, warum sie am Sabbath das Privatfestopfer nicht dargebracht haben, was werden sie da antworten? Ich wundere mich über die beiden Großen des Zeitalters, über Schema’ja und Abtaljon, die doch große Gelehrte und große Bibelausleger waren, daß sie den Israeliten nicht gesagt haben, daß die Privatfestopfer die Sabbathruhe aufheben. Da wird deutlich vorausgesetzt, daß die beiden Lehrer nur das Passah für derart beschaffen erklärten, daß es auch am Sabbath dargebracht werden dürfe, nicht aber auch das private Festopfer, Jehuda b. Dorthai forderte nur Folgerichtigkeit; denn in Deut. 16, 2 ist als Passah nur Ein Opfer vorgeschrieben, das aber von Hillel wegen der Exod. 12, 5 widersprechenden Angabe der Opfertiere in zwei zerlegt wurde: das Passah und das Mazzothfestopfer (vgl. II Chron. 35, 1—10). Es war daher eine natürliche Forderung Jehudas, daß beiden in Einem Worte ausgedrückten Opfern die gleiche Bedeutung zu teil werde, Schema'ja und Abtaljon wollten dem Volksopfer zum Siege verhelfen und beschränkten ihre Forderung auf das Passah; aber es gelang ihnen nicht, wie das Auftreten Hillels zeigt, den Widerstand jener Kreise zu brechen, welche gegen die Übertragung von Vorrechten, die nur Gemeinde-, richtiger Tempelopfern eigen waren, auf ein Mahlopfer jedes Einzelnen aus dem Volke entschieden Stellung nahmen. Erst als die von den beiden Lehrern geschaffene Bewegung im Jahrzehnte langen Kampfe erstarkte, waren die maßgebenden Kreise gewillt, der nachdrücklich erneuten Forderung nachzugeben. Das Volk, das durch die ganze Zeit den Kampf seiner Führer verfolgt und alljährlich in deren Sinne Passahlämmer geopfert haben mag, war auch an dem auf den Sabbath fallenden Passahtage bereit, zu opfern und harrte der Erledigung der Frage. Es hat nichts Auffallendes an sich, daß die Erörterung derselben zwischen Hillel und der Behörde, welcher die Entscheidung hierin zustand, am Tage vorher oder, nach der anderen Quelle — allerdings etwas unwahrscheinlich, — am 14. Nissan selbst stattfand. Denn da das in Jerusalem zur Wallfahrt versammelte Volk seinen Wunsch durch seinen gelehrten Vertreter wieder vorbringt und die bisher wahrscheinlich übliche kurze Abweisung entweder wegen der Schwäche der Gegenpartei oder wegen des allmählich erstarkten Anhanges Hillels nicht mehr möglich war, kommt es zur letzten Entscheidung. Hillel begründet den Standpunkt, den schon seine Lehrer eingenommen, mit ganz neuen Argumenten (vgl. Tos. Synhedr. VII 11); die Vertreter der herrschenden Ansicht sind geneigt, nachzugeben und sie sträuben sich nur, die Beweise Hillels anzuerkennen, lassen aber die Überlieferung, die dasselbe besagte, als entscheidend gelten.
Bei dieser Annahme, die wohl in den Einzelheiten verbessert und ergänzt werden kann, erledigen sich die meisten, von Chwolson gegen die Glaubwürdigkeit des Berichtes vorgebrachten Bedenken und auch die übrigen werden bald ihre Erklärung finden. Das Auftreten Hillels wird jedenfalls mit Recht als eine große Leistung bezeichnet; denn es war ihm gelungen, dem Volksopfer ausgeprägtesten Charakters den Wichtiekeitsgrad und die Rechte des täglichen Ganzopfers zu erkämpfen, wiewohl gegen dessen Darbringung am Sabbath gewiß alle Tempelkreise nicht ohne triftige Gründe entschieden Stellung genommen haben werden (vgl. Geiger, Jüd. ZS. II 1863, 42—54).
Die ‚בני בתירה die Hillel zum Nachgeben zwingt, treffen wir noch als Gegner des R. Jochanan b. Zakkai in Jabne und zwar gleichfalls im Streite über einen den Sabbath betreffenden Punkt (b. Rosh haSchana 29b).129 Da berichtet eine Baraitha: einmal fiel der Neujahrstag auf den Sabbath und alle (Städte) hatten sich versammelt. Da sprach R. Jochanan b. Zakkai zu den Söhnen Betheras: wir wollen den Schofar blasen; sie erwiderten: wir wollen erst die Frage [der Zulässigkeit] erörtern; er sagte: wir wollen erst blasen und dann verhandeln. Nachdem geblasen worden war, sagten sie: nun wollen wir die Sache erörtern; er aber antwortete: nachdem das Horn in Jabne bereits vernommen worden ist, hat es keinen Sinn, nach erfolgter Tat Einwände zu erheben. Das nicht einwandfreie Vorgehen R. Jochanans läßt es klar erkennen, daß er Grund hatte, es in dieser Frage zu einer Verhandlung und Abstimmung nicht kommen zu lassen. Entweder wollte er grundsätzlich in gewissen Fragen nicht die Abstimmung entscheiden lassen, oder war die Mehrheit der Versammelten und Stimmberechtigten sicher oder möglicherweise nicht seiner Ansicht. Da sich dieser Vorgang in Jabne, also nach 70 abspielt, können die בני בתירה selbstverständlich nicht dieselben sein, denen einst Hillel gegenüberstand. Aber die Familie oder die Partei mit ihren Grundsätzen mag fortbestanden haben; wiewohl auch diese Annahme deshalb sehr schwierig ist, da fast ein Jahrhundert zwischen beiden Vorfällen liegt und gerade die Partei, gegen die Hillel kämpfen mußte, durch den Sturz Jerusalems völlig entkräftet ward. Die Bezeichnung der älteren als זקני בתירה in einem Teile der auf Hillels Auftreten bezüglichen Überlieferung und im Munde des Patriarchen R. Jehuda I (jer. Kil'aj. IX 32b 34, s. weiter) weist, mit זקני בית דין, זקני ישראל, זקני בית הלל, זקני בית שמאי,‎ zusammengestellt,‎ dzarauf hin, daß בתירה‎ eine Körperschaft bezeichnet; und das erkärt das Wiederauftauchen des Namens in späterer Zeit. Man hat sie oft als Sadducäer bezeichnet; doch konnte hierfür aus dem Berichte selbst, in dem sich das ganze Interesse auf Hillel richtet, kein bestimmtes Anzeichen angegeben werden. Da Hillel es unternehmen darf, ihnen die gestellte Frage durch seine verschiedenartigen Schlußfolgerungen zu beantworten, und er sich nicht auf
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129 Lerner (Berliner-Hoffmanns Magazin X 1883, 127) meint, daß, als nach der Zerstörung des Tempels aus der Familie Hillels keine Persönlichkeit geblieben war, die zur Führung dieses Amtes tauglich gewesen wäre, vielleicht Nachkommen der Familie Bethera R. Jochanan gegenüber ihr Recht geltend machten.


die Mitteilung der Überlieferung beschränkt, scheinen die Betheras keine Sadducäer gewesen zu sein; er müßte es denn nicht gewußt oder mit Absicht nicht berücksichtigt haben, daß seine Schlüsse bei Sadducäern keine Anerkennung finden. Gegen solche spricht auch, — wenn nicht auch hier Absicht vorliegt, — daß Hillel ihnen nur das Fernbleiben von den Vorträgen seiner Lehrer, nicht aber auch ihren grundsätzlich völlig verschiedenen Standpunkt in Bezug auf die Frage überhaupt vorhält.130 Auch daß sie die von pharisäischen Lehrern stammende Äußerung als entscheidend anerkennen,131 spricht gegen ihr Sadducäertum; doch hier kann es wieder der Zwang der nicht mehr abwendbaren Entscheidung sein, die sie durch dieses Zugeständnis für sich ehrenhaft gestalten. Am nächsten läge es, in den Betheras vornehme Priester oder die deren Stand- punkt vertretenden Lehrer zu sehen, die in Jerusalem gegen
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130) Die Vergleichung der drei Parallelberichte zeigt, daß die Einwände der Betheras nicht zur ursprünglichen Schilderung gehören, vgl. Bacher, Agada der Tannaiten I 6, 2,
131) Die Richtigkeit der Meldung von der auffallenden Nachgiebigkeit der Betheras läßt sich aus zwei tatsächlichen Vorfällen ähnlicher Natur beweisen; abgesehen von dem Berichte des R. Jose, daß, wenn im großen beth-din in der Quaderkammer betreffend die vorgelegte Frage eine Überlieferung bekannt war, diese ohne weiteres angenommen wurde und sie jede weitere Verhandlung und Abstimmung überflüssig machte, Zunächst berichtet Pe’a II 6, daß Gamaliel I mit Simon aus Mischpa in der Quaderkammer eine Frage über die Feldecke vorlegte und Nachum, der Schreiber, ein Mitglied der Behörde, mit einer alten Überlieferung antwortete; von einer weiteren Erörterung des Gegenstandes steht nichts. Doch damit dieses nicht etwa auf die Knappheit des Berichtes in der Mischna zurückgeführt werde, sei auf den zweiten Vorfall aus dem beth-din in Jabne hingewiesen. In Jadaj. IV 1, b. Chagiga 3b, Tos. Jadaj. II 16 wird in einer Baraitha erzählt: R. Jose b. Dormaskith kam aus Jabne nach Lydda, um seinen Lehrer R. Eliezer zu besuchen. Von diesem befragt, was es im Lehrhause Neues gebe, berichtet er, es sei durch Mehrheitsbeschluß zum Gesetze erhoben worden, daß die Juden im Gebiete von Ammon und Moab im Brachjahre den Armenzehnt zu leisten haben. Da sprach R. Eliezer: sage den Lehrern: אל תחושו למניניכם, כך מקובלני מדבן יוחנן בן זכאי ששמע מרבו ורבו מרבו הלכה למשה מסיני nehmet keine Rücksicht auf den Mehrheitsbeschluß denn ich habe dasselbe als Überlieferung von R. Jochanan b. Zakkai, der diese von seinen Lehrern als alte, mosaische Tradition überkommen hatte. Man sieht, daß trotzdem R. Eliezer genau dasselbe als Überlieferung kannte, was im Lehrhause beschlossen wurde, er die Abstimmung als nicht vorhanden ansah, weil diese im Falle des Vorhandenseins einer Tradition unzulässig ist. So haben sich die Betheras nur an die bestehende Gesehäftsordnung gehalten, als sie nachgaben.


die von Hillel befürwortete Gleichstellung des Privatopfers ohne heiligen Charakter mit dem täglichen, hochheiligen Gemeindeopfer, in Jabne gegen die Übertragung der Privilegien der einst im Heiligtum amtierenden Behörde auf das Lehrhaus des R. Jochanan b. Zakkai Stellung nehmen; und diese Züge weisen eben auf Sadducäer. Die diesen entgegenarbeitende Richtung Hillels, wie hier die des als sein Schüler bezeichneten Jochanan, ist, wie schon Geiger richtig gesehen hat, genügend durch die Sätze bestimmt, die als wichtig und bedeutungsvoll von Hillel überliefert werden. In jer. Peßach. VI 33a 67 lesen wir nämlich: wegen dreier Belehrungen zog Hillel von Babylon nach Palästina: 1. es heißt in Lev. 13, 37: der mit dem Ausschlag Behaftete sei rein; hieraus folgt aber nicht, daß er nunmehr ohne weiteres gehen kann, denn es heißt: der Priester erkläre ihn für rein; aus diesem Satze folgt aber nicht, daß, wenn der Priester ihn für rein erklärt, er es auch ist, denn es heißt: er ist rein.132 2. In Deut. 16, 2 heißt es:
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132) ‎Der erste der drei Punkte Hillels, den auch Tos. Nega'im I 16 hat, ‎geht davon aus, daß die Überprüfung des Reinspruches eines mit Ausschlag‏ ‎behaftet Gewesenen die Entscheidung des Priesters umstoßen kann. In‏ ‎Sifra 60b zu Lev. 13, 2 wird dieser Grundgedanke noch bestimmter ausgedrückt:‏ ‎die Reinsprechung kann nur durch den Mund des Priesters erfolgen; ein‏ ‎Gelehrter aus den Laien sieht die Ausschläge an und sagt einem Priester, der‏ ‎auch ohne Sinne sein kann, den Mann für rein oder unrein zu erklären. ‎Hiermit ist auch die Mischna Para XII 10 zusammenzustellen, wo bestimmt‏ ‎wird, daß selbst der Minderjährige und Blödsinnige die Besprengung mit‏ ‎dem Reinigungswasser vornehmen dürfe, während wir nach dem einfachen‏ ‎Wortlaute in Numeri 19, 17—19 und nach dem Zusammenhange hier aus‎schließlich priesterliche Handlungen zu sehen geneigt sind, Dafür spricht auch‏ ‎die Verteilung der Asche an die Priesterklassen (Tos. Para III 14) und die‏ ‎Bestimmung der Mischna Schekal. VII 7 betreffs der Behandlung der Asche ‎von Seiten der Priester. Und auch die wenigen Berichte über tatsächlich vor‎genommene Reinigungen bezeugen dieses. So erzählt in Tos. Para XII 6‏ ‎R. Simon b. Gamaliel im Namen des Simon b. Kahana: die Priester haben‏ ‎es nie vermieden, die Sprengung mit Reinigungsasche mittels eingetauchten‏ ‎Ysops und aus einer Flasche mit enger Mündung vorzunehmen, Vgl. auch‏ ‎den Bericht von dem Sprengen des Sema'ja aus Kefar-Uthni unter R. Jochanan‏ ‎b. Zakkai in Tos. Para X 2. Und da ist auch auf die Worte des R. Akiba‏ ‎an R. Eleazar b, 'Azarja in jer. Berakh. IV 7d 23, b. 28a hinzuweisen: מי שהוא מזה בן מזה יזה, מי שאינו לא מזה ולא בן מזה יימר למזה בן מזה, מימיך מי מערה ואפרך אפר מקלה ‎die zeigen, daß ihm als die das Reinigungswasser Sprengenden bloß Priester‏ ‎bekannt waren (vgl. dagegen Bekhor. IV 6). Wenn Katzenelson in Grätz’‏ ‎Monatsschrift XLV 1900, 447 zeigt, daß die Altperser nach der Avesta die‏ ‎Reinigung nur von gelehrten Priestern vollziehen ließen, die alte Halacha‏


du sollst als Passah dem Ewigen, deinem Gotte schlachten Kleinvieh und Rind; dagegen in Exod. 12, 5: von den Lämmern und von den Ziegen sollt ihr (für das Passah) nehmen; beide vereint besagen, daß Kleinvieh zum Passah und Rinder zum Festopfer zu nehmen sind.133 3. In Deut. 16, 8 heißt es: sechs Tage sollst du ungesäuertes Brot essen, in Exod. 12, 15 dagegen: durch sieben Tage sollt ihr ungesäuertes Brot essen; beide besagen: sechs Tage aus neuem, sieben Tage aus altem Getreide. Der letzte Punkt spricht deutlich gegen die sadducäische Lehrmeinung über den Tag, an dem das erste Getreide nach Lev. 23, 11 darzubringen ist, und war gleichzeitig eine weitere Stütze für die pharisäische Auslegung der Worte ממחרת השבת. Aus der Bedeutung, die diesen Erklärungen Hillels zuerkannt wurde, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit geschlossen werden, daß, als Hillel nach Jerusalem kam, in der öffentlichen Übung der betreffenden Religionsgesetze die seinen Auslegungen entgegengesetzte die herrschende war. Eine andere Frage ist es, ob es ihm auch gelungen ist, seiner Auffassung bei der Behörde in Jerusalem, die das Religionsgesetz auslegte, Eingang und Geltung zu verschaffen.
Da wir in dem Berichte selbst keine Angabe darüber haben, wer die hier über die Zulässigkeit des Passahopfers am Sabbath verhandelnden Betheras sind, ist auch nicht gleich zu erkennen, welche Würde Hillel übertragen wird, als er nach seinem Siege von ihnen zum Oberhaupt erwählt wurde. Da es sich nun um die Frage handelt, ob ein Opfer auch am Sabbath dargebracht werden dürfe, so ist die zur Entscheidung befugte Behörde entweder die oberste des Tempels oder eine
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dagegen die obige Bestimmung aufstellte, so ist zunächst zu bemerken, daß wir es mit keiner alten Halacha, sondern mit einer Neuerung zu tun haben. Wir kennen vielmehr die Strenge der Sadducäer in der levitischen Reinheitsforderung bei der Verbrennung der roten Kuh, welche die Pharisäer mit aller Entschiedenheit bekämpften. Der Mazdäismus ist mit dem alten Sadducäismus, nicht mit den pharisäischen Neuerungen verwandt.
133) Den zweiten Satz, der die Einführung des Passah anstrebt, haben wir hinsichtlich seiner Tragweite bereits besprochen. Es ist noch hinzuzufügen, daß der jüdisch-hellenistische Dichter Ezechiel in der Schilderung des Passah in Ägypten neben Kleinvieh auch Rinder als für dieses Opfer von den Israeliten verwendet anführt (Euseb, Praepar. ev. IX 29, 13). Es fehlt uns jede Handhabe, daraus schließen zu dürfen, daß in Ägypten am Oniastempel auch Rinder zum Passah genommen wurden.


gesetzgebende Körperschaft, die über dem Tempel steht. Nun berichtet die Mischna Peßach, IV 1, daß, als Hillel seine Darlegungen begann, ‚חברה עליו כל העזרה sich das ganze, im inneren Vorhofe des Heiligtums versammelte Volk um ihn scharte. Dieses aber zeigt sicher den Tempelbezirk als Schauplatz der Verhandlungen und die Betheras als eine Körperschaft auf dem Tempelberge. Diese wählt Hillel zum Vorsitzenden, was zur Voraussetzung hat, daß der bisherige Präsident, wohl einer der Betheras, auf seine Würde verzichtet. Davon sagt jedoch keiner der drei Parallelberichte etwas und nur eine Äußerung des Patriarchen Jehuda I spricht davon; so daß man eher annehmen möchte, daß die Stelle des Vorsitzenden zufällig unbesetzt war, was auch seine Schwierigkeiten hat. Jedenfalls aber tritt Hillel nach der ausdrücklichen Angabe der Berichte an die Spitze dieser Behörde. Dieses ist auch anderweitig und zwar durch den schon mehrfach erwähnten Satz des Patriarchen Jehuda I überliefert (jer. Kila‘j. IX 32b 34), der zur Betonung seiner Bescheidenheit sagt, er wäre im stande jedes Opfer zu bringen, חוץ ממה שעשו זקני בתירה לזקני, דשרון גרמון מנשיאותיה ומנוניה‎ und offenbar derselbe in jer. Peßach. VI 33a 57: ‏הניחו כתרן בעולם הזה וירשו חיי העולם הבא, ואילו הן. יונתן בן שאול ואלעזר בן עזריה וזקני בתירה‎ wo drei Personen zusammengestellt sind, die zu gunsten des davidischen Hauses auf ihre Würde verzichtet haben. Ebenso sagt R. Jehuda I in b. Baba mezia 84b 85a: drei bescheidene Männer gab es: meinen Vater, die Söhne Betheras und Jonathan, Sauls Sohn. In allen drei Stellen werden die Betheras wegen ihrer Verzichtleistung zu gunsten Hillels gerühmt; und wenn auch der Urheber dieser Sätze ein Urenkel Hillels ist, der mit denselben vielleicht irgendwelche Absicht verknüpft haben kann, wird man doch keinen Grund finden, an der berichteten Tatsache selbst zu zweifeln. Es ist zu beachten, daß der Patriarch die Betheras nicht als eine größere Körperschaft ansieht, sondern als eine aus wenigen Männern bestehende Gruppe, die die Würde innehatte, welche dann Hillel erhielt. Es ergibt sich also, daß dieser, wie Gamliel I und dessen Sohn Simon, an der Spitze jener hohen Behörde in Jerusalem stand, die das den Opferdienst angehende Gesetz auslegte.
Nun wird in dem Passahberichte der Toßifta und des bab. Talmuds erzählt, daß die Betheras Hillel zum נשיא einge setzt haben. Denselben Titel gibt ihm ferner nicht bloß der an‎geführte Satz des Patriarchen R. Jehuda I, sondern auch eine ältere Baraitha in b. Sabb. 15a unten: ‏ הלל ושמעון גמליאל ושמעון נהגו נשיאותן בפני הבית מאה שנה ‎die diese Würde auch GamalielI und dessen‏ ‎Sohn Simon zuerkennt. Dieselbe liefert hierdurch zugleich einen‏ ‎beachtenswerten Beleg für die Richtigkeit der Ergebnisse unserer‏ ‎bisherigen Untersuchung, daß die drei Männer die gleiche Würde‏ ‎bekleideten.134 Als Naßi wird, Hillel zusammen mit mehreren‏ ‎Vorgängern auch in der bekannten Mischna Chagiga II 2 ge-‏‎nannt, welche schon oft Gegenstand gelehrter Erörterungen‏ ‎war. Sie bietet zunächst für Hillels anderweitig ermittelte‏ ‎Stellung einen weiteren Beleg, widerspricht aber scheinbar in‏ ‎ihrer Aufzählung hinsichtlich des Vorgängers dem Berichte‏ ‎vom Passah. Denn hier sind als Vorgänger Hillels — wenigstens‏ ‎nach den Sätzen des Patriarchen R. Jehuda — die Ältesten‏ ‎Betheras genannt, die jener verdrängt, während die Mischna‏ ‎diese überhaupt nicht kennt, dafür aber Schema’ja und Abtaljon‏ ‎setzt, die Hillel im Passahberichte als seine Lehrer bezeichnet.‏ ‎Bekanntlich haben nach Geiger (Urschrift 116) mehrere Forscher,‏ ‎wie Kuenen (Abhandlungen 74), Wellhausen (Pharisäer 39) und‏ ‎Schürer (Geschichte II 202ff.) diese Mischna wegen ihres an‎geblichen Widerspruches mit den Angaben des Josephus und‏ ‎der Evangelien über das Synedrion als die Übertragung der‏ ‎Organisation im Lehrhause des Patriarchen Jehuda I auf die‏ ‎alte Zeit erklärt und demzufolge als völlig wertlos und keiner‏ ‎weiteren Beachtung würdig behandelt. Die Sicherheit der aus‏ ‎der Übereinstimmung der Nachrichten bei Josephus und in den‏ ‎Evangelien gewonnenen Ergebnisse für das Synedrion hat diese‏ ‎jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehrende Behandlung der‏ ‎gar nicht auf das Synedrion bezüglichen talmudischen Angaben‏ ‎zur Folge gehabt. Und selbst Chwolson (Das letzte Passahmahl 24),‏ ‎Loeb (Revue d. Etud. Juives XIX 1889, 188ff.), Jelski (Die‏
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134) Simon, Hillels Sohn, ist sonst nirgends genannt und auch hier haben ihn nicht alle Texte; es wird daher von mehreren Gelehrten mit Recht Angenommen, daß er zu dieser Würde nie gelangt ist. Hillel führt den ‎Titel Naßi auch in der bekannten Erzählung von seinen Geduldproben in b. Sabb. 31a und Aboth di R. Nathan XV 30b, wo ihm der quälende Fragesteller Zuruft: כך נשיאים משיבים, לא ירבו כמותך בישראל in Aboth, את הוא הלל שקורין אותך נשיא ישראל in Sabbath. Doch ist auf diese Stelle kein allzugroßes Gewicht zu legen; denn erstens ist das Alter dieser Ausschmückungen nirgends ersichtlich und dann ist der angeführte Teil nicht einmal in allen Handschriften der Aboth enthalten, vgl. Schechter z. St.


innere Einrichtung d. gr. Synedr. 37 ff.) und Bacher (Hastings, Dictionary IV 400b unt. ff.) haben sich verleiten lassen, dieser Meldungen den geschichtlichen Wert abzusprechen; und Jelski sucht noch auf Grund der Reihe der in der Mischna neben den verschiedenen Naßi als ab-beth-din aufgezählten Lehrer darzutun, daß die Angabe der Ämter dieser Männer eine Einschaltung aus dem zweiten Jahrhundert ist. Es ist dieses eine billige Konjektur, die aber auch die offen zutage liegenden Schwierigkeiten nicht behebt. Da der Widerspruch, der Geiger dazu führte, die Mischna für wertlos zu erklären, als nicht vorhanden erkannt ist, wäre es eigentlich nicht notwendig, für die Echtheit und das Alter dieser Stelle Beweise anzuführen oder die Unzulässigkeit der so leichtfertigen Beurteilung einer so bestimmt lautenden Übelieferung darzutun; um so weniger, als auch keiner der Anhänger von Geigers Annahme einen anderen Grund für dieselbe vorzubringen vermocht hat, als den angeblichen Widerspruch der griechischen Quellen gegen die talmudischen. Ich will trotzdem Einiges zur Klarstellung der soviel umstrittenen Mischna vorführen, obwohl es bekanntlich sehr schwierig, oft fast unmöglich ist, eine jedes Beweises entbehrende Annahme als unrichtig darzutun, besonders wenn das Material hierzu wegen seiner Dürftigkeit nicht genug Stützen bietet. In Tos. Chagiga II 8, b. 16a, jer. II 77d 34 lesen wir Folgendes: מימיהם לא נחלקו על הסמיכה. חמשה זוגות הן, שלשה מזוגות הראשונים שאמרו שלא לסמוך היו נשיאים ושניים אבות בית דין. שניים מזוגות הראשונים שאמרו לסמוך היו נשיאים ושניים אבות בית דין. דברי רבי מאיר. וחכמים אומרים, שמעון בן שטח נשיא ויהודה בן טבאי אב בית דין, über die Amtsstellung des Simon b. Schetach und des Jehuda b. Tabbai sind R. Meir und die Weisen geteilter Meinung. Unter den letzteren ist, wie oft in der Kontroverse mit R. Meir, R. Jehuda b. Ilai gemeint, den die Ausgaben und die Wiener Handschrift der Toßifta auch ausdrücklich nennen. Der Streit über die Stellung der beiden Männer aus dem ersten vorchristlichen Jahrhunderts war sonach um die Mitte des zweiten Jahrhunderts bereits vorhanden und bezog sich — wohlgemerkt — nur auf das eine der in der Mischna aufgezählten Lehrerpaare, während über die Stellung der anderen unter den Lehrern volle Übereinstimmung herrschte. Die von den Forschern angenommene künstliche Übertragung der Organisation des Lehrhauses nach 70 auf die alte Zeit müßte hiernach nicht erst unter dem Mischnaredaktor R. Jehuda I, sondern schon unter R. Simon b. Gamaliel II um 150 erfolgt sein. Den Anstoß hierzu soll nun die unter diesem Patriarchen tatsächlich bestandene und damals erst geschaffene Organisation gegeben haben. Denn der sonst gut unterrichtete und in Überlieferungen zuverlässige Amoräer des dritten Jahrhunderts, R. Jochanan, sagt in b. Horaj. 13b von den Bestimmungen in der Baraitha in b. Horaj. 13b, Tos. Synh. VII 8, jer. Bikkur. III 65c 67 über die dem ‚נשיא dem אב בית דין und dem חכם im Lehrhause zu erweisenden Ehren: בימי רבן שמעון בן גמליאל נשנית משנה זו, רבן שמעון בן גמליאל נשיא, רבי מאיר חכם רבי נתן אב בית דין‎ daß sie aus der Zeit des R. Simon b. Gamaliel stammten, weil diese Würden nur in dessen Kollegium bestanden haben. Man hat sich aber bei diesem Schlusse auffallenderweise gar nicht gefragt, ob es denkbar ist, daß R. Meir und R. Jehuda Würden und Titel, die eben erst geschaffen worden waren, auf die alten Schulhäupter sollten übertragen haben; und weiters auch nicht nachgeforscht, woher denn der Patriarch Simon b. Gamaliel die ganze Organisation genommen hat und ob eine neue Ordnung unter den damaligen Verhältnissen überhaupt möglich war? Könnte auch die angenommene Übertragung vielleicht bei R. Meir verständlich sein, weil er kurze Zeit im Besitze einer Würde dieser Organisation war und etwa den Nachweis führen wollte, daß diese Würden bereits unter den großen Schulhäuptern der alten Zeit bestanden hatten, so scheitert dieses an der Wahrnehmung, daß die Mischna Chagiga II 2 die von R. Meir bekleidete Würde des חכם gar nicht kennt; und die Erklärung, es fehle diese, weil die alte Überlieferung nur Lehrerpaare kennt, hat bei einer künstlichen, also rücksichtslosen Übertragung keinen Wert. Wer das Traditionswesen der Tannaiten kennt; wer da weiß, wie viele wertvolle Überlieferungen wir dem genannten R. Jehuda b. Ilai verdanken (vgl. Bacher, Agada der Tannaiten II 195), der, wie wir bereits gesehen haben, alte Nachrichten über das hillelsche Haus besaß und überall in der Wiedergabe älterer Meldungen vollste Zuverlässigkeit bekundet: der wird ihn einer solchen Übertragung von Würden und Titeln nicht für fähig halten. Aber vollends ausgeschlossen wird diese ganz unnatürliche Annahme durch die Tatsache, daß die Meldung über die Stellung der Lehrerpaare Hillel-Schammai, Schema’ja-Abtaljon und die der ältesten 2 Paare gar nicht von R. Meir und R. Jehuda selbst herrührt, sondern, wie der Streit in einem Punkte zeigt, beiden aus älterer Zeit übereinstimmend überliefert worden war und sie in nur einem Gliede der Aufzählung abweichende Angaben überkommen hatten. Der Bericht der Mischna gehört hiernach spätestens ihrem gemeinsamen Lehrer oder einem seiner Kollegen in der vorhadrianischen Zeit. Und selbst in dem Teile, der unter ihnen kontrovers war, ist es bei der Natur der Sache nicht möglich, den Ausdruck persönlicher Ansichten zu sehen; sondern es liegt auch da entweder abweichende Überlieferung oder ein Gedächtnisfehler vor.135
Und da tritt die bereits oben erwähnte, sehr beachtenswerte, deutlich und bestimmt lautende Nachricht bestätigend hinzu. Eine Baraitha in b. Sabb. 15a unten meldet nämlich: Hillel und Simon, Gamaliel und Simon führten ihr Naßi-Amt durch 100 Jahre בפני הבית, innerhalb der Zeit des Tempelbestandes. Die Vergleichung dieses anonymen Berichtes mit denen des schon oft genannten Tannaiten R. Jose hinsichtlich der Ausdrucksweise ergibt nämlich, daß der obige Satz über das hillelsche Haus demselben Lehrer gehört. In b. Sabb. 15a führt nämlich im Namen des R. Jose sein Sohn Ismael folgende Meldung an: 180 Jahre ,innerhalb des Tempelbestandes‘ verbreitete sich die [fremde] Herrschaft über Israel, 80 Jahre ,innerhalb des Tempelbestandes‘ verfügte man die levitische Unreinheit des Landes der Völker und die der Glasgefäße, 40 Jahre ,innerhalb des Tempelbestandes‘ wanderte das Synedrion aus und ließ sich in den Kaufhallen nieder. Da kehrt das so bezeichnende ‏בפני הבית‎ des Satzes über das hillelsche Haus bei jeder Zahl wieder. Ebenso in einem zweiten Berichte des R. Jose in b. ‘Aboda zara 8b 9a (s. die Lesearten bei Ratner, ‏סדר עולם‎ 71a): die persische Herrschaft war בפני הבית durch 34 Jahre, die griechische Herrschaft warבפני הבית 180 Jahre,
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135) Ich will dieses durch einen Streit der beiden Lehrer illustrieren, der sehr absonderlich scheint und eine Einzelheit aus dem Tempel behandelt. In Tos. Joma II 6, b. 38a, jer, III 41a 41 wird erzählt, wie die beth-Garmo und die beth-Abtinas, die das Schaubrot, beziehungsweise das Räucherwerk für den Tempel anfertigten, ihre Ämter niederlegten und nur durch die Erhöhung ihres früheren Gehaltes auf das Doppelte zur Rückkehr veranlaßt wurden. Das ursprüngliche Gehalt bestimmt R. Meir mit 12, R. Jehuda mit 24 Goldminen; eine Kontroverse, die nur durch einen Gedächtnisfehler oder eine abweichende Überlieferung zu erklären ist.


die Hasmonäerherrschaft warבפני הבית 103 Jahre, die Herrschaft der Herodianer war בפני הבית 63 Jahre. Mögen auch die Zahlen völlig unrichtig sein, die Tatsachen selbst entsprechen genau den sonst erhaltenen Nachrichten; und das Gleiche gilt von dem durch die Zusammenstellung und den Ausdruck als Eigentum des R. Jose erkennbaren Satze über die Würde der Hilleliten. Nun war R. Jose der Genosse und intime Freund des Patriarchen Simon b. Gamaliel und auch er behandelt, wie seine Kollegen, R. Meir und R. Jehuda b. Ilai, die Träger der Naßiwürde. Sollte auch er, der so getreue Übermittler alter Überlieferungen, dem Patriarchen zu Liebe den Titel des נשיא erfunden und denselben den Ahnen Simons ohne jede geschichtliche Grundlage zugeschrieben haben? Oder bedeutet נשיאות ein Amt überhaupt, wie ‏ שררה‎ bei 'Akabja b. Mahalal’el in ‘Eduj. V 6? Aber wie wäre dann R. Jose gerade auf den Titel ‏נשיא‎ ‎gekommen, der eine ganz andere Bedeutung hatte, und wie ist dann das ganz merkwürdige Zusammentreffen mit anderen Berichten zu erklären, die einerseits Hillel gleichfalls als ‏נשיא‎ ‎bezeichnen, andererseits Gamaliel I und Simon b. Gamaliel I die Rechte derselben Stellung betätigend vorführen? Auch R. Jose kann vielmehr nur eine ältere Überlieferung wiedergegeben haben, genau so wie seine beiden Kollegen, R. Meir und R. Jehuda b. Ilai; und alle drei wurden zu ihren Erörterungen über die alten Schulhäupter durch denselben Vorgang veranlaßt. Schon die angeführte Bemerkung des Amoräers R. Jochanan zeigt nämlich, daß die Organisation des Kollegiums, wie sie die Bestimmungen über die den drei Würdenträgern zu erweisenden Ehren voraussetzen, nur unter dem Patriarchen Simon b. Gamaliel bestand, nicht früher. Es ist aber auch ohne jeden Beleg als selbstverständlich anzunehmen, daß dieser Patriarch, als er sein Kollegium neu organisierte und sich und einzelnen Lehrern die genannten Titel und Würden verlieh, nur an eine ältere Organisation angeknüpft haben kann, um seinem Kollegium dasselbe Ansehen zu geben, welches das seiner Ahnen hatte.136 Und da sich hierfür, nach den tannaiti-
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136 Bacher (Hastings, Dietionary IV 401a) meint, der Titel sei Gamaliel II verliehen worden, um wenigstens dem Namen nach ein Zeichen der Unabhängigkeit zu bewahren. Mir scheint, daß Simon b. Gamaliel durch irgend einen die Autorität des Kollegiums antastenden Vorfall zur Neuorganisierung veranlaßt wurde, etwa durch die in Babylonien von Chananja, dem Neffen des


schen Quellen zu urteilen, bei seinen unmittelbaren Vorgängern kein Vorbild fand,137 mußte Simon auf eine noch ältere Zeit zurückgreifen. Und selbst wenn schon das Kollegium des R. Gamaliel II diese Organisation gehabt haben sollte, zeigt sowohl der Ausspruch des R. Jochanan, als auch die Kontroverse des R. Meir und des R. Jehuda und die Mischna Chagiga II 2, daß Simon b. Gamaliel II etwas Neues hinzugefügt hat, nämlich das Amt des חכם. Das Bestreben des Patriarchen, das Vorbild aus der alten Zeit genau zu erkennen und zu erreichen, mag dem R. Jose, R. Meir und R. Jehuda die Anregung gegegeben haben, die vorhandenen Überlieferungen über die alten Lehrerpaare zu vergleichen und die Würde dieser im Einzelnen genau festzustellen. Auf ihren Untersuchungen beruht zum Teil die Mischna Chagiga II 2, deren Redaktor auch noch eine dritte, gewiß zur selben Zeit vorgetragene Überlieferung gekannt und berücksichtigt zu haben scheint. Da die Mischna die Reihe der Lehrer nur bis Hillel und Sammai herabführt, stammt ihre Vorlage entweder aus der Zeit dieser beiden (vgl. Hoffmann, Die erste Mischna 34 ff., Baneth in Berliner-Hoffmanns Magazin IX 28), oder trat nach Hillel und Sammai in der Organisation der betreffenden Körperschaft eine Verän-
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R. Josua vorgenommene Monatseinschaltung und Neumondsbestimmung. Dieser konnte bekanntlich erst nach ernsten und eindringlichen Vorstellungen zur Anerkennung des palästinischen Kollegiums bewogen werden (b. Berakh. 63ab, vgl. Bacher, Agada der Tannaiten I 390, 1). Solchen Sonderbestrebungen gegenüber sollte die Organisation des alten beth-din dem Kollegium in Usa unbestreitbare Autorität verschaffen.
137) Wir finden wohl in jer. Berakh. IV 7d 26, daß man R. Eleazar b. 'Azarja, der an Stelle des seiner Würde entkleideten R. Gamaliel II zum Vorsitzenden des Kollegiums gewählt worden war, nach der Aussöhnung der Lehrer mit Gamaliel, der in sein früheres Amt wieder eingesetzt wurde, zum ab-beth-din machte, um ihn nicht ganz zu verdrängen. Da aber der Parallelbericht in b. Berakh. 28a eine andere Verteilung der Würden unter die beiden Häupter gibt, kann die Glaubwürdigkeit des ersten Berichtes angezweifelt werden. Auch ist es fraglich, ob das Amt des ab-beth-din bereits bestanden hat, ehe der Streit ausbrach, und was jetzt mit dessen Verwalter geschah; oder ob die Stelle erst als Auskunftsmittel, allerdings mit Anlehnung an ältere Einrichtungen, geschaffen wurde. Es könnte der Bruder Gamaliels dieselbe früher bekleidet haben und mit dem Vorsitzenden zurückgetreten sein, vgl. Note 141; nach b. Baba kamma 74b unten war freilich R. Josua b. Chananja der ab-beth-din neben Gamaliel. Vgl. auch Kaempf in Frankels Monatsschrift V 1856, 153, 2 ff. und Frankel das. I 345 ff.


derung ein, welche die einfache Fortsetzung der Aufzählung ausschloß.138
Was die Bedeutung des Titels נשיא betrifft, so ist es bei der Erkenntnis, daß derselbe den alten Lehrern nicht erst um 150, sondern auch schon vor 135 zuerkannt worden sein muß, zunächst von Wichtigkeit, festzustellen, daß ihn unsere Quellen auffallenderweise sonst nur in Verbindung mit dem Patriarchen Jehuda I und dessen Nachfolgern, nirgends aber mit seinen Vorgängern nennen. Abgesehen von den Stellen, in denen רבי יהודה הנשיא vorkommt und die Beziehung dieses auf Jehuda I nicht immer feststeht, lesen wir in b. Synhedr. 30a: Jehuda und Chizkija, die Söhne R. Chijjas, saßen einmal bei Jehuda I beim Mahle und schwiegen; da ließ ihnen der Patriarch Wein geben, um sie aufzuheitern. Als der Wein auf die Jünglinge gewirkt hatte, sagten sie: der Messias wird erst kommen, nachdem die beiden führenden Häuser aus Israel geschwunden sein werden, nämlich der Exilarch in Babylon und der Naßi in Palästina. Welchen Inhalt dieser Titel hatte, ist aus der Erörterung über das Opfer des sich versündigenden Fürsten in Lev. 4, 22 in b. Horaj. 11b zu ersehen. Da stellt eine Baraitha fest, es könne hiermit nur ein Fürst gemeint sein, über dem niemand steht, also ein König. Hierauf fragt der Patriarch Jehuda I den R. Chijja, ob auch er im Versündigungsfalle ein solches Opfer darzubringen hätte, was R. Chijja mit dem Bemerken verneint, daß R. Jehuda einen Rivalen in Babylonien habe. Der Patriarch betrachtet sich hiernach als den Fürsten seines Volkes; denn נשיא bezeichnet da nicht den Vorsitzenden des Kollegiums,
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138) In der Tat muß, wie die Forscher längst bemerkt haben, nach Hillel eine scheinbar nur äußerliche Veränderung im Vorsitze der von diesem geleiteten Körperschaft eingetreten sein, indem Gamaliel I allein und nicht ein Lehrerpaar an der Spitze stand, später allerdings wieder Simon b. Gamaliel I mit Jochanan b. Zakkai. Da wir gesehen haben, daß die unmittelbaren Vorgänger Hillels nicht Schema'ja und Abtaljon waren, deren Nichtachtung Hillel den von ihm verdrängten Betheras zum Vorwurfe macht, sondern — wenn auch vielleicht nur provisorisch — diese selbst, so scheint die bei Hillels Auftreten wahrnehmbare Veränderung die gleiche gewesen zu sein, wie die beim Auftreten Simons b. Gamaliel I und Jochanans b. Zakkai nach Gamaliel beobachtete, von dessen Rücktritt vom Amte diese ein ziemlich großer Zeitraum mit sadducäischer Übung des Religionsgesetzes trennt. Hillel war bis dahin bloß am Lehrhause seiner bereits verstorbenen Lehrer tätig, die nach der Mischna Chagiga II 2 einst mit demselben Titel bekleidet derselben Behörde vorgestanden hatten, wie jetzt Hillel.


sondern, wie die Baraitha zeigt, den einem Könige gleichenden Volksfürsten, der dem Exilarchen der babylonischen Juden an die Seite gestellt werden konnte. Dieser aber war, wie bekannt, nicht in erster Reihe das religiöse Oberhaupt seines Volkes und nicht der Vorsitzende einer das Religionsgesetz regelnden Körperschaft, sondern ein politischer Vertreter der Juden. Das zeigt auch die Baraitha in b. Horaj. 11b, Synhedr. 5a ganz klar und deutlich: לא יסור שבט מיהודה, זה ראש גולה שבבבל שרודה את ישראל במקלו. ומחוקק מבין רגליו, אילו בני בניו של חלל המלמדים חורח ברבים, die den Unterschied zwischen beiden Vertretern der Juden aus dem Hause Davids kennzeichnet.139 In jer. Sabb. XVI 15c 9, Midrasch Lev. rab. 15, 4, Threni rab. zu 4, 20 sehen wir diese Bedeutung des Titels Naßi bei Jehuda I noch schärfer gefaßt. Da lesen wir nämlich: Rabbi, R. Chijja und R. Ismael b. R. Jose studierten am Vorabende des 9. Ab, der damals auf den Sabbath gefallen war, vor dem Nachmittagsgebete die Klagelieder, kamen aber nur bis an das Ende des vorletzten Alphabets und sie beschlossen, das noch Rückständige am nächsten Morgen zu beenden. Auf dem Heimwege aus dem Lehrhause verletzte sich Rabbi den Finger, worauf er Psalm 32, 10: den Sünder treffen viele Schmerzen, auf sich anwendete. Da sagte ihm R. Chijja: um unserer Schuld willen traf dich dieses, denn es heißt: unser Lebensodem, der Gesalbte des Ewigen, wurde durch ihre Verderbnis verstrickt (Threni 4, 20). Und R. Ismael b. R. Jose sprach: hätten wir auch den Vers nicht eben gelesen, wir hätten ihn auf diese Weise anwenden müssen, um so mehr jetzt, nachdem wir ihn gelesen haben.140 Es ergibt sich hieraus, daß Rabbi von seinen nächsten Freunden, wenn auch nur in einem angeführten Bibelverse, als der Gesalbte Gottes bezeichnet wurde, d. h. als Fürst, weil es ihm schmeichelte und er es, wie seine Frage über das Sündopfer des Fürsten zeigt, selbst anregte. Was er anstrebt, ist sonach klar; und auf Grund dessen ist ebenso deutlich zu erkennen, daß er als der von
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139) Dieser Satz mag zugleich ein Protest gegen den Versuch des Patriarchen sein, anderes als der geistige Führer seines Volkes sein zu wollen, Vielleicht richtet er sich gegen Simon b, Gamaliel, insofern der in b. Horaj 13b geschilderte Streit zwischen ihm und den gegen ihn verbündeten Lehrern, Meir und Nathan, auf den Versuch des Patriarchen, seiner Würde größeres Gewicht zu verleihen, zurückzuführen ist.
140) So nach jer. Sabbath; die Parallelstellen lauten nur in Einzelheiten, die für unsere Frage nebensächlich sind, etwas verschieden.


den Lehrern und dem Volke anerkannte Naßi nur das Oberhaupt seines Lehrerkollegiums, der oberste Lehrer des Gesetzes war. Diese Würde war dem Hause Hillels jedenfalls seit Gamaliel II zuerkannt und so verfügt Jehuda I auf seinem Totenbette vor den um ihn auf seinen Wunsch versammelten Weisen Israels: ‏ שמעון בני חכם, גמליאל בני נשיא, חנינא בר חמא ישב בראשdaß einer seiner Söhne נשיא der andere חכם werde;141 und da kann Naßi
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141) Es ist zu beachten, daß die beiden Würden im Kollegium von zwei Brüdern bekleidet werden. Das Gleiche sehen wir bei R. Gamaliel II in Jabne in Tos. Synh. VIII 1, jer. I 19c b7: R. Eleazar b. R. Sadok erzählte: als R. Gamaliel in Jabne Schule hielt אבא ואחיו מימיני וזקנים משמאלו war sein Bruder Abba zu seiner Rechten und die Ältesten zu seiner Linken. Es ist hier nach b. Jebam. 15a אבא אחיו zu lesen, wie schon Kämpf in Frankels Monatsschrift II 1853, 205, 3, Derenbourg, Essai 342, 4 und Chajes in Revue des Et. Juiv. XXXIX 1898, 40, 8 bemerken. Der Titel, den der Bruder des Patriarchen zur Rechten desselben als Vorsitzender führt, ist nicht angegeben; es wäre aber möglich, daß er, wie später Simon b. Rabbi, חכם war. Vgl. hierzu auch noch Mekhilta zu Exod. 18, 18 , 59b: נבול תבול גם אתה, זה משה. גם, זה אהרן. העם הזה, זה שבעים זקניום, דברי רבי יהושע. רבי אלעזר המודעי אומר, אתה, זה משה. גם, זה אה-ן נדב. ואביהוא. העם הזה אלו שבעים זקנים wo der das Volk führende Rath nach R. Josua b. Chananja aus Moses, Aaron und den 70 Ältesten, nach R. Eleazar aus Modeim aus Moses, Aaron, dessen zwei ältesten Söhnen und den 70 Ältesten bestand. Es ist mir nicht ganz klar, ob sich diese Meinungsverschiedenheit bloß auf Exod. 24, 1. 9 oder auch auf tatsächlich noch zur Zeit dieser Tannaiten bestandene Verhältnisse gründet. Die erwähnte Sitzordnung sehen wir auch in Mekhilta 3b vorausgesetzt, wo R. Acha’ b. R. Joschia sagt: so oft Moses zum Volke redete, war Aaron ihm zur Rechten, Eleazar zur Linken und Ithamar zur Rechten Aarons und das Wort erscholl aus ihrer Mitte, als ob alle redeten. Ferner ist die Baraitha in b. ‘Erub. 54b zu beachten: wie trug Moses das Gesetz vor? Moses lernte es von Gott, Aaron kam zu ihm und Moses trug ihm den Abschnitt vor, worauf Aaron abtrat und sich zur Linken Moses’ setzte; dann traten die Söhne Aarons ein und Moses trug ihnen den Abschnitt vor, worauf sie abtraten und Eleazar sich Moses zur Rechten, Ithamar Aaron zur Linken setzte, (R. Jehuda sagte: Aaron saß immer Moses zur Rechten); dann kamen die Ältesten und Moses trug ihnen den Abschnitt vor und als diese abgetreten waren, kam das ganze Volk und Moses trug demselben den Abschnitt vor. Hier tritt uns eine feste Ordnung entgegen und wir haben in diesen agadischen Schilderungen nur die Übertragung der in den tannaitischen Lehrhäusern bestehenden Verhältnisse auf die Zeit Moses’, wie wir sie bereits in der Beschreibung des R. Eliezer vom Lehrhause Moses’ sahen (Seite 110, 95). Jedenfalls scheint unter Gamaliel II dieselbe Ordnung bestanden zu haben, wie zur Zeit des R. Acha’ b. R.Joschia, der wahrscheinlich Zeitgenosse Rabbis war. In jer. Synh. I 19c 36 lesen wir: סנהדרין היתה כחצי גורן עגולה והנשיא חיה יושב באמצע כדי שיהו רואין אותו ושומעין קולו; dafür hat Tos. Synhedr. VIII 1: סנהדרין היתה כחצי גורן עגילה כדי שיהיו רואין זה את זה, הנשיא יושב באמצע וזקנים יושבין מימינו ומשמאלו.‎ Hier sind


neben dem bereits bekannten הכם nur das Oberhaupt des Kollegiums bezeichnen,142 was auch daraus folgt, daß der Patriarch die Lehrer zu sich beruft, um ihnen dieses mitzuteilen. Dieselbe Bedeutung hat der Titel Naßi auch in der bereits erwähnten Baraitha (b. Horaj. 13b, Tos. Synh. VII 8, jer. Bikkur. III 65c 67) über die Ehren, die dem נשיא, dem אב בית דין und dem ‏הכם ‎ beim Eintritte in das Lehrhaus zu erweisen sind; denn auch da erscheint er neben dem ‏הכם und im Lehrhause.143 Derselbe findet sich ferner in der sehr bezeichnenden
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die זקנום, die dem Vorsitzenden zur Rechten und zur Linken sitzen, offenbar nur die hervorragenden Lehrer, für die die Titel הכם und אב בית דין noch nicht bestanden. Jelski, der Seite 31 sagt, daß in dieser Hauptstelle nichts von einem zweiten Schriftgelehrten stehe, der gleichfalls an der Spitze stand, hat die Meldung nicht genau angesehen.
142) In der Verfügung Rabbis scheint der ab-beth-din zu fehlen, vielleicht weil das Kollegium selbst das Recht hatte, denselben aus seiner Mitte zu wählen; in Wahrheit aber scheint Rabbi den R. Chanina als solchen bestimmt zu haben. Dagegen spricht allerdings, daß Chanina nach jer. Ta'anith IV 68a 28 erst von Rabbis Nachfolger, Gamaliel III die Ordination erhielt, so daß ‏ ישב בראש‎ nicht die Ernennung zur Würde zu bedeuten scheint, wenn auch das dort stehende ומני לרבי חמא בר חנינא בראשה dem ישב בראש entsprechen könnte; vgl. jer. Synh. I 19a 51: ישב רבי מאיר תחלה, er soll erst ordiniert werden. Nun lesen wir in dem Berichte von der Einsetzung des Eleazar Chisma und des Jochanan b. Gudgeda durch R. Gamaliel II (b. Horaj. 10a unt.): ‏נתן דעתו להושיבם בראש.... אמר להם, כמדומין אתם שררה אני נותן לכם. עבדות אני נותן לכם wo ‏להושיבם בראש wie die Bezeichnung ihrer Würde als שררה lehrt, nicht die Ordination, sondern die Ernennung für ein Amt bedeuten muß. Allerdings hat die Parallelstelle in Sifre Deut. 16, (nach der b. Gudgeda in b. Nuri zu ändern ist, vgl. Bacher, Agada der Tannaiten I 374, 3) שהושיבן רְבן גמליאל בישיבה, was bloß die Ernennung zum stimmberechtigten Mitgliede des Kollegiums, also scheinbar nur die Ordination bezeichnet; trotzdem heißt ihre Stellung ‏שררה על הצבור.‎ Vgl. auch Exod. rab. 27, 9, wo R. Nechemia Proverb. 6, 1 deutend sagt: ‏‎ נאמרה על החברים, כל הימים שאדם חבר לא אכפת לו בצבור ואינו נענש עליו. נתמנה אדם בראש בל טודח צבור עליו wo die Ernennung in den die Angelegenheiten der Gemeinde führenden Lehrerkreis als מנה בראש bezeichnet wird. Ein solches Amt mag Rabbi dem R. Chanina zugedacht haben; vgl. Halevy דורות הראשונים II 132. In späteren Midraschstellen bedeutet der Ausdruck auch den Vorsitz; so im Tanchuma ואתהנן 6, Buber p. 7,1, Grünhut ספר הלקוטים V 104b, wo nach dem Rücktritte Moses’ ישב יהושע בראש למשה בימינו ובני אהרן משמאלו והיה יהושע יושב ודורש בפני משח; aber dieses ist ohne jede Beweiskraft für die Tannaitenzeit.
143) In Tos. Sabb. VII 18, b. ‘Aboda zara 11a, Tos. Synhedr. IV 3: וכשם ששורפין על המלכים כך שורפין על הנשיאים, אבל לא על הדיוטות . . . מעשה בשמת רבן גמליאל הזקן שרף עליו אונקלום יותר משבעים מנה, steht der Naßi im Gegensatz zum Privatmanne, ist aber doch kein König und seine Gleichstellung mit diesen hinsichtlich der letzten Ehren muß erst hervorgehoben werden In Sifre zutta zu Numeri 35, 22


Meldung des Amoräers R. Abba in jer. Synh. I 19a 48, die, obgleich nicht tannaitisch, doch Beachtung verdient: ursprünglich erteilte jeder Lehrer allein seinem Schüler die Ordination, חזרו וחלקו כבוד לבית הזה, אמרו, בית דין שמינה שלא לדעת הנשיא אין... מנויו מנוי, נשיא שמינה שלא לדעת בית דין מנויו מנוי. חזרו והתקינו שלא יהא בית דין ממנה אלא מדעת הנשיא ושלא יהא הנשיא ממנה אלא מדעת בית דין, später erkannten sie diesem Hause (dem hillelschen) die Ehre zu und beschlossen, daß wohl das beth-din nicht ohne die Zustimmung des Naßi, aber der Naßi ohne die des beth-din die Ordination erteilen könne; später jedoch beschlossen sie, daß das beth-din nicht ohne die Zustimmung des Naßi und der Naßi nicht ohne die des beth-din ordinieren dürfe.144 Hier ist der Naßi das Oberhaupt des Gelehrtenkollegiums, dessen Rechte er ausübt. Das Gleiche zeigt die Baraitha in b. Synhedr. 11a: ein Schaltjahr wird nur verfügt, wenn der Naßi einverstanden ist. Da ist dieser der Vorsitzende jener Behörde, die den Kalender ordnet, genau so wie vor der Tempelzerstörung unter Gamaliel I (vgl.
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(Schechter in Jewish. Quart. Review. VI 1894, 663 und Jalkut Numeri 788): ‏ ‎ מות יומת המכה. . . .מרבה אני אביו נשיא, לא ארבה אביו דיין, תלמוד לומר, מות יומת המכה. ארבה אני אביו דיין בבית דין הגדול, תלמוד לומר, מות יומת המכה ist die Bedeutung der Wortes Naßi nicht ganz klar und ist diese Stelle mit Mekhilta zu Exod. 22, 27 zu verbinden: ‏אלהום לא תקלל, אין לי אלא דיין, נשיא מנין, תלמוד לומר ונשיא בעמך לא תאור, wo freilich die Schlußfolgerung auch nicht klar ist, da nicht ersichtlich ist, in welchen Beziehungen der Naßi zum Richter steht. Es scheint, daß er kein Richter war, da er sonst im דיין inbegriffen wäre; den Tannaiten war die Kenntnis dessen, was die Thora unter dem Naßi verstand, abhanden gekommen, daher die Unklarheit. Im Jalkut Exod. 351 steht noch: ‏אי נשיא, כאחאב וחביריו, תלמוד לומר בעמך לא תאור, לא אמרתי אלא בזמן שהן נוהנין כמנהנ עמך wo Naßi den König bezeichnet, Maimonides הלכות סנהדרין XXVI 1 hat hierfür: ‏וכן אם קלל הנשיא, אהד ראש הסנהדרין חגדול או המלך, הרי הוא עובר בלא תעשה, was auf dem angeführten Satze des Sifre zutta beruhen dürfte, vgl. Nachmanis Kommentar zu Exod. 22, 27 und Josef Karo zu Maimunis Satz. Erwähnenswert ist noch der Ausspruch Rabs in b. Baba bathrai 115b: ‏בל האומר תירש בת עם בת הבן, אפילו נשיא שבישראל אין שומעין לו שאינן אלא צדוקין.‎
144) Im Midrasch haGadol zu Numeri 27, 18 ist diese Stelle mit anderem Wortlaute erhalten: אמר רבה, בראשונה היו כל אחד ואחד ממנה את תלמידיו כגון רבן יוחנן בן זכאי.... וחלקו כבוד לבית הזה, אמרו, אב בית דין שמינה שלא לדעת הנשיא אין מנויו מנוי, ונשיא שמינה שלא מדעת אב בית דין מנויו מנוי. חזרו והתקינו שלא יהא אב בית דין ממנה אלא מדעת הנשיא ושלא יהא הנשיא ממנה אלא מדעת אב בית דין. Hiernach erteilt nicht das beth-din die Ordination, sondern der ab-beth-din, der neben dem Naßi eine hervorragende Stellung einnimmt. Diese Leseart lag auch Maimuni סנהדרין IV 5 vor, denn er sagt:בראשונה היה כל מי שנסמך סומך לתלמידיו, וחכמים הלכו כבוד להלל הזקן והתקינו שלא יהא אדם נסמך אלא ברשות הנשיא ושלא יהא הנשיא סומך אלא אם כן היה אב בית דין עמו, ושלא יהא אב בית דין סומך אלא אם כן היה הנשיא עמו, אבל שאר החבורה יש לכל אחד מהם למטוך ברשות הנשיא


'Eduj. VII 7 oben S. 122, Note 108). Und nicht nur tannaitische, sondern auch spätamoräische Sätze erwähnen den Naßi, da die Würde noch lange Zeit nach dem Patriarchen Jehuda I im Besitze der Familie sich erhielt; allerdings bestand sie infolge der Unfähigkeit ihrer Träger in religionsgesetzlichen Fragen im Gelehrtenkollegium nur dem Namen nach und hatte in dieser Hinsicht kaum welche Bedeutung mehr. Ich führe hier nur den Ausspruch des R. Samuel b. Nachman aus Midr. Deut. rab. 2, 19 an: Alles, was die Großen der Zeit tun, tun auch ihre Zeitgenossen: כיצד. הנשיא מתיר ואב בית דין אומר, הנשיא מתיר ואני אוסר? והדיינין אומרין, אב בית דין מתיר ואנו אוסרים? ושאר הדור אומרים, הדיינים מתירים ואני אוסרים? מי נרם לכל הדור לחטוא, הנשיא שחטא תחלה. Es ist hieraus ersichtlich, daß die Organisation des Kollegiums gegen das Ende des 3. Jahrhunderts noch bestand und der Naßi der Vorsitzende der über religionsgesetzliche Fragen entscheidenden gelehrten Körperschaft war. Aber während ausdrückliche Nachrichten melden, daß der Patriarch Jehuda I seine beiden Söhne für die Würden des נשיא und חכם nach seinem Tode ernannte, finden wir nirgends, daß er diese Ämter neugestaltet, geschweige erst geschaffen hätte. Ja, es ist neben ihm niemals ein ab-beth-din oder ein חכם genannt145 und diese Wahrnehmung, vereint mit der Meldung von der gleichzeitigen Bestellung seiner beiden Söhne
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והוא שיהיו שנים עמו, שאין סמיכה פחות משלשה. Herzfeld. Geschichte I 385, 1 wirft demnach Maimonides mit Unrecht vor, daß er die Stelle im jer. Talmud unrichtig ausgelegt habe, da diesem ein von unserem Texte abweichender Wortlaut vorlag. Dieser scheint mir der richtige zu sein, denn die im Talmud gemeldeten Ordinationen zeigen, daß nirgends das ganze Kollegium, dagegen mehreremal der Amoräer R. Jochanan Jüngern die Ordination erteilte. Vgl. noch Bacher in Grätz' Monatsschrift XXXVIII 1894, 122—127, der die Verzichtleistung der Lehrer zu Gunsten des Patriarchen auf Simon b. Gamaliel II bezieht, unter dem die Organisation mit Naßii und ab-beth-din bereits bestand.
145) Ich finde an nur einer Stelle einen Hinweis auf das Vorhandensein der beiden Würden neben dem Naßi Jehuda l. In Midr. Kohel. rab. zu 1, 7 Ende antwortet Rabbi auf die Frage des R. Ismael b. R. Jose, was die Worte in Jes. 23, 18 besagen: כגון את וחביריך ושני עטופי סדינים כיוצא בך, שאין אתם חשובים בעצמכם כלום Der Sinn dieses Satzes ist nicht leicht festzustellen, denn der Text scheint nicht in Ordnung zu sein, vgl. Bacher. Agada der Tannaiten II 410, 3. Ich glaube, daß der ursprüngliche Wortlaut durch ganz geringfügige Verbesserungen folgendermaßen wiederhergestellt werden kann: כגון את וחבירך כיוצא בך שני עטופי סדינים du und dein dir gleichender Genosse, die ihr beide in Linnen gehüllt und trotzdem nicht unbescheiden seid. Es dürfte hier nicht das linnene


zu Trägern der zwei Würden, legt die Vermutung nahe, daß Jehuda I entweder alle drei Ämter des Gelehrtenkollegiums in sich vereinigte, oder die des ab-beth-din und des חכם unter ihm keine Bedeutung hatten. Der Titel Naßi, den er führt, erscheint bei ihm und seinen Nachfolgern als Bestandteil des Namens, worin die durch Reichtum, Gelehrsamkeit und äußere Anerkennung — wahrscheinlich auch von seiten der römischen Machthaber — gehobene Stellung des Patriarchen Jehuda I in entsprechender Form zum Ausdruck gelangen sollte. Er selbst hatte die Würde und den Titel des Naßi von seinem Vater, Simon b. Gamaliel geerbt, der, wie wir bereits gesehen, als Naßi mit dem ab-beth-din und dem חכם an der Spitze des Gelehrtenkollegiums gestanden hatte. Auf die Zeit dieses sind daher mit hoher Wahrscheinlichkeit alle tannaitischen Bestimmungen zu beziehen, welche von diesen Würdenträgern handeln, wie dieses schon der Amoräer R. Jochanan in b. Horaj. 13b von dem Satze über die denselben zu bezeigenden Ehren bemerkt hat. So die Baraitha in b. Moed katan 22b unten; חכם שמת בית מדרשו בטל, אב בית דין שמת כל בתי מדרשות שבעירו בטלין, נשיא שמת בתי מדרשות כולן בטלין zu deren letztem Punkte R. Josua b. Korcha eine erklärende Bemerkung macht, wodurch die ganze Stelle als spätestens aus der Zeit des Patriarchen Simon b. Gamaliel II stammend gekennzeichnet wird; gleichzeitig sehen wir, daß die Stellung aller dieser Würdenträger durch deren Beziehungen zu den Lehrhäusern allein bestimmt wird. Dieselbe Frage regelt auch Semach. IX 1: חכם שמת חולצין לפניו את הימין, אב בית דין שמת חולצין לפניו את השמאל, נשיא שמת חולצין לפניו שתי ידים. מעשה כשמת רבי אליעזר חלץ לפניו רבי עקיבא שתי ידיו, und dürfte denselben Verhandlungen angehören, wie die vorhergehende Baraitha. Vielleicht auch die
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Gewand gemeint sein, das jeder Jünger trug, vgl. z. B. Tos. Kelim 3 II 4; נטל רכן גמליאל חוט מסדינו של תלמיד שהוא יושב לפניו‎ und sonst, sondern das Ehrengewand des Gelehrten, sonst טלית genannt, vgl. Genes. rab. 70,5, Lewy, Talm. W. B. II 160b, besonders Exod. rab. 27, 9. So vielleicht auch in b. 'Erub. 54b: man erzählte von R. Eleazar b. Pedath, daß er auf dem unteren Markte von Sepphoris studierte und sein ‏ סדין‎auf dem oberen Markte lag. R. Ismael b. R. Jose sehen wir sehr oft neben dem Patriarchen genannt, neben ihnen noch ‏R.‎ Chijja und diese dürften die Würden des Kollegiums bekleidet haben. Auf diese Weise erklärt sich auch der so schwierige Satz des Simon b. Azzai in Aboth di R. Nathan XXV 41b, wo ‏לשני בני אדם העטופים בסדינים‎ das Richtige ist; vgl. Bacher, Tannaiten I 416, 4, Schechter zu Aboth. d. R. N. XXXIII 37a oben, Fürst in ZDMG XLII 1888, 360.


Mischna Ta'anith II 1: סדר תעניות כיצד. מוציאין את התיבה לרחובה של עיר ונותנין אפר מקלה על נבי התיבה ובראש הנשיא ובראש אב בית דין, ‏‎ die wohl älter scheint, da sie den חמם nicht nennt in Wahrheit jedoch aus‏ ‎derselben Zeit stammen dürfte; der חמם fehlt, weil er wahr‎scheinlich an diesem Gottesdienste nicht als Würdenträger‏ ‎teilnahm. Dagegen kann die Meldung R. Hunas in b. Moed katan 17a: באושא התקינו, אב בית דין שסרח אין מנדין אותו אלא אומרין לו היכבד ושב בביתך חזר וסרח מנדין אותו מפני חלול השם die von dem in Uscha gefaßten eschlusse über die Behandlung eines sich auflehnenden ab-beth-‎din erzählt und durch die Nennung Uschas mit Bestimmtheit‏ ‎auf die Zeit des R. Simon b. Gamaliel II hinweist, nicht als‏ ‎Belege für die damals bestandene Organisation verwendet‏ ‎werden. Denn wiewohl die Entstehungszeit dieser Verfügung‏ ‎noch genauer durch die Nachricht in jer. Moed kat. III 81c 71‏ ‎bestimmt wird, daß R. Meir mit dem Banne belegt werden‏ ‎sollte, der Beschluß des Kollegiums sonach auf ihn bezogen‏ ‎werden dürfte, ist es doch fraglich, ob ihn R. Huna im genauen‏ ‎Wortlaute mitteilt. Denn die Parallelstelle in jer. Moed katan‏ ‎III 81d 59 (vgl. Midr. Samuel VII 5) lautet: R. Schescheth sagte: באושא התקינו שלא לנדות זקן . . . דאמר רבי שמואל בשם רבי אבהו, זקן שאירע בו דבר אין מורידין אותו מגדולתו אלא אומרים לו היכבד ושב בביתך nicht ‎der Würdenträger ‎des Kollegiums, sondern ein זקן das Mitglied desselben bildete ‎den Gegenstand des Beschlusses. Ist sonach אב בית דין im Be‎richte des R. Huna genau, so ist nicht R. Meir gemeint, der‏ ‎dieses Amt nie innehatte; denn daß sein Kollege R. Nathan, der‏ ‎dasselbe bekleidete, in den Bann getan werden sollte, ist‏ ‎nirgends angedeutet; vielmehr ist die Bezeichnung ungenau,‏ ‎wie wir dieses auch sonst finden werden.146 Es ist aber aus‏ ‎allen eine chronologische Feststellung ermöglichenden Nach‎richten deutlich, daß die Würde des Naßi zur Zeit des Pa‎triarchen Simon b. Gamaliel II den Gegenstand der Erörterung‏ ‎unter den Lehrern bildete, wie es unzweifelhaft ist, daß er‏ ‎den Titel Naßi entweder selbst führte oder von den Mitgliedern‏ ‎seines Gelehrtenkollegiums zuerkannt erhielt.‏ ‎Es fragt sich nur, ob die ganze Institution nicht auch‏ ‎schon vor ihm, unter seinem Vater Gamaliel II und früher‏
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146) Vgl. Midr. Psalm 3, 4: דואג הוא היה אב בית דין שנאמר אביר הרועים אשר לשאול ‎mit jer. Synh. X 29a 14, wo Doeg אדם גדול בתורה und b. Synh. 106b, wo er נבור בתורה ‎heißt; es soll in allen drei Fällen bloß seine große Gelehrsamkeit gekennzeichnet werden.


unter Jochanan b. Zakkai, wenn auch ohne die Titel der Würdenträger bestanden hat; denn wir haben neben Gamaliel II im Kollegium (Tos. Synh. VIII 1, jer. 1 19c 37, s. Note 141) seinen Bruder und andere einen Ehrensitz einnehmende Gelehrte erwähnt gefunden, doch ohne jede Bezeichnung ihrer Ämter. So zeigt auch die Verfügung des R. Jochanan b. Zakkai in Rosch haSchana IV 4, wie sie R. Josua b. Korcha überliefert: שאפילו ראש בית דין בכל מקום, שלא יהיו העדים הולכין אלא למקום הוועד, ( s.S 120, 107), daß er als der Vorsitzende des beth-din sich nicht als Naßi, sondern nur als das Oberhaupt dieser Körperschaft bezeichnete. Wie sich hierin R. Gamaliel II verhielt, ist nirgends berichtet; die Angabe, daß neben ihm ein ab-beth-din wirkte (jer. Berakh. IV 7d 26), würde vermuten lassen, daß er Naßi genannt wurde. Aber wenn auch, wie wahrscheinlich, R. Simon b. Gamaliel zuerst die drei Führer des beth-din als Naßi, ab-beth-din und חכם bezeichnete, hat er nur den schon seit langem bestehenden Würden Namen gegeben, die selbst der alten Organisation des großen beth-din in Jerusalem entlehnt wurden.147 Die an
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147) Zu beachten ist auch der ebenso merkwürdige, wie rätselhafte Bericht in der Mischna Nedar. V 5. Da sagt nämlich R. Jehuda Folgendes: אחד כותב לנשיא ואחד כיתב להדיוט. מה בין כותב לנשיא לכותב להדיום. שהכותב לנשיא אינו צריך לזכות והכותב לחדיוט צריך לזכות. וחכמים אומרים, אחד זה ואחד זה צריכין לוכות, לא דברו בנשיא אלא בהווה. רבי יהודה אומר, אין אנשי הגליל צריכין לכתומ, שכבר כתבו אבותיהם על ידיהם In b. Nedar 48a wird hierzu angeführt: R. Jehuda sagte: die Galiläer waren zänkisch und versagten einander alles durch Gelübde; deshalb haben ihre Ahnen ihren Anteil dem Fürsten verschrieben. Da es sich hier um die ältere Zeit handelt, die, wie אבותיהם zeigt, weit hinter R. Jehuda liegt, ist die Erklärung der Stelle um so schwieriger. Jelski 35 sieht auch hier in dem נשיא den Hohenpriester oder den König; aber es ist nicht einzusehen, warum, wenn von Agrippas Königszeit die Rede ist, nicht ‚מלך wenn von Hohenpriestern, nicht כהן גדול steht, es wäre denn die Zeit des Tetrarchen Herodes Antipas (4 v. Chr. bis 31 n. Chr.) gemeint, der nach dem Tode seines Vaters, des Königs Herodes, Galiläa als Tetrarch erhielt (Antiquit. XVII11, 4, 318, Bell. II 6, 3, 94, vgl. Schürer I 423, Antiquit. XVIII 2, 3, 36, Bell. II 9, 1, 167). Oder soll נשיא die Fürsten bezeichnen, die gleichzeitig die Hohepriesterwürde bekleideten? Vgl. die Inschrift der Aufstandsmünzen שמעון נשיא ישראל bei Schürer I 767. (הדיוט als Gegensatz zu נשיא weist auf einen Fürsten hin, vgl. Mischna Joma VII 5 nach der Leseart im jerus. Talmud, die Bestimmung über das Befragen des Orakels: ‏ואין נשאלין בהן להדיוט אלא למלך ולבית דין ולמי שהצבור צריך בו‎ vgl. Note 143.) Es könnte auch Agrippa II gemeint sein, von dem wir aus jüdischen Quellen wissen, daß Galiläa, das er vor dem großen Kriege besaß und während desselben verlor, nach 70 wieder zu seinem Besitze gehörte (s. Derenbourg, Essai 212 nach b. Sukka 27a, b. Sabb. 121a, Tos. XIII 9, jer. XVI 15a 42).


sich so auffallende Bezeichnung des Vorsitzenden als נשיא die zu verstehen keiner der die einschlägigen Quellen so streng kritisierenden Forscher auch nur versucht hat, entspricht, wie mir scheint, vollkommen der Stellung des die erste Würde in der obersten Behörde bekleidenden Vorsitzenden. Wir haben nämlich aus einer Reihe von tannaitischen Sätzen (S. 34) ersehen, daß sich das große beth-din in Jerusalem, welches das Religionsgesetz als oberste Behörde regelte, mit der ערה der Thora in Lev. 4, 13 und Num. 15, 24 identifizierte. Da nun die Vorgesetzten derselben נשיאי הערה genannt werden (Exod, 16, 22, Num.4, 34; 16, 2), wie die Häupter der Stämme נשיאי המטות (Num.7, 2; 1, 16),148 so nahm das beth-din folgerichtig denselben Titel für sein Oberhaupt in Anspruch und zwar, entsprechend der Benennung der Körperschaft als בית דין של ישראל und der seiner Mitglieder als ‚זקני ישראל als ‏נשיא ישראל.149
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Dann wäre נשיא ein politischer Fürst und hätte nichts mit unserem Naßi gemein. Als Belegstelle für diesen ist noch Sifre Deut. 346 anzuführen:בשהנשיא מושיב זכנים בישיבה של מטה, שמו הגדול משתבה למעלה, שנאמר ויהו בישורון מלך בהתאסף ראשי עם. ואין אסיפה אלא זקנים wofür Jalkut I 953 ,נשיא offenbar eine Verschreibung, hat.
148) In Lev. 4, 22 ist gleichfalls ein solcher Fürst gemeint. Die Tannaiten in Sifra 19a und im Talmud Horajoth, wie Tos. Horaj. II 2 identifizieren diesen ohne weiteres mit dem Könige. Es ist jedoch unrichtig, aus dieser Deutung und aus der Mischna Horaj. II 5—7, III 1—3 zu schließen, daß die Tannaiten ‏נשיא nur in dieser einen Bedeutung kannten. Denn gerade die Notwendigkeit der Beweisführung aus der Parallele in Deut. 17, 19 und die Einleitung dieser Begründung durch ‏יבול‎‎ bezeugt das Gegenteil. Es handelt sich an all diesen Stellen ausschließlich um die Deutung des Bibelverses, um nichts anderes, und alle Lehrer waren der Ansicht, das Gesetz spreche vom Könige.
149) Ist es klar, daß die biblische עדה das große beth-din und nicht das Synedrion ist, so wird auch die Meldung der Fastenrolle zum 28. Tebet: ‏יתיבא כנישתא על דינא,‎ auf das beth-din zu beziehen sein. Damit aber das scheinbar einen Gerichtshof voraussetzende על דינא nicht als Gegenbeweis geltend gemacht werde, verweise ich auf Middoth V 5, wo von dem Synedrion in der Quaderkammer gemeldet wird: דנה את הבהונה. Ja, es ist möglich, daß die Nachricht der Fastenrolle die Einberufung und Konstituierung derselben Körperschaft feiert, welche dann unter anderen Dingen auch die Familienreinheit der diensttuenden Priester untersuchte. Es wäre einer der Anlässe gemeint, als das pharisäische beth-din nach der Verdrängung des sadducäischen zur Herrschaft im Tempel gelangte, entweder unter Gamaliel I oder Simon b. Gamaliel I. Es soll in einem anderen Zusammenhange gezeigt werden, daß die Fastenrolle den Übergang von der Prokuratorenherrschaft in Judäa in die Regierung Agrippas I widerspiegelt.


Was den ab-beth-din in der Mischna Chagiga II 2 und in den anderen angeführten tannaitischen Stellen betrifft, so bezeichnet ihn Jelski, nachdem er den Naßi als ungeschichtlich beseitigt zu haben glaubt, als den eigentlichen Repräsentanten des Synedrions. Als Beweis hierfür dient ihm außer dem Worte אב‎ in dem Titel des Würdenträgers die Mischna Joma VII 5, wo es von der Befragung des hohepriesterlichen Orakels nach dem Wortlaute in den Ausgaben heißt: ואין נשאלין אלא למלך ולבית דין ולמי שהצבור צריך בו‎ daß sie nur für den König, das beth-din und für diejenigen erfolgen dürfe, deren die Gesamtheit bedarf.150 Der Mischnatext des jerus. Talmuds und andere bei Rabbinowicz in Dikduke Soferim verzeichneten Texte haben: ואין נשאלין בהן להדיוט אלא למלך.., die Cambridger Mischna (ed. Lowe 52a): ואין נשאלים להדיוט אלא למלך ולבית דין ולמי שצורך הצבור בו‎ Dagegen steht für בית דין im bab. Talmud אב בית דין, aber Rabbinowiez bemerkt zur Stelle: ‏בכתב יד ב' ולבית דין וכן היא במשניות ובעין יעקב הראשון ובילקוט בשני המקומות ובילקוט כתב יד וברמב''ם ובספר האגודה וכדאמר עלה בסוף פרקין וכל העדה זו סנהדרין‎ daß alle in Betracht kommenden Texteszeugen das Wort אב nicht haben. Der sicherste unter allen diesen Belegen aber, über den keinerlei Erwägungen und kein Klügeln hinweghelfen, ist die von R. Abahu, dem palästinischen Amoräer in b. Joma 73b gegebene Begründung des fraglichen Mischnateiles: דאמר קרא, ולפני אלעזר הכהן יעמוד ושאל לו במשפט האורים .... הוא וכל בני ישראל אתו וכל העדה. הוא, זה מלך. וכל ישראל אתו, זה משוח מלחמה. וכל העדה, הוא סנהדרין ‎ den da kann das Wort, סנהדרין natürlich nur dem בית דין nicht aber dem אב בית דין entsprechen. Bei diesem so einfachen Sachverhalte ist die Behauptung Jelskis (S. 37) völlig unbegreiflich.151 Er beruft sich ferner auf die Mischna
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150) Es ist mir völlig unverständlich, was Jelski 35, 1 zur Mischna Sota VII 8: ‏‎ חזן הכנסת נוטל ספר תורה ונותנה לראש הכנסת וראש הכנסת נותנה לסגן והסגן נותנה לכהן גדול וכהן גדול נותנה למלך bemerkt: »Hier wird der Naßi nicht erwähnt, was doch sicher geschehen wäre, wenn nicht der Naßi mit dem Könige identisch wäre.« Er hat nicht beachtet, daß hier eine Kulthandlung geschildert wird, an welcher nur die Beamten der Tempelsynagoge und die zwei ersten Würdenträger der Priesterschaft teilnahmen; wo sollte da für den Naßi Platz sein? In der Mischna Joma VII 1 steht dieselbe Reihe von Würdenträgern, nur der König fehlt, der ja nur ausnahmsweise aus der Thora vorliest.
151) Rapoport in ‏ערך מלין‎ 2a entscheidet sich gleichfalls für die Leseart אב בית דין‎ und hält die Begründung der Mischna bei R. Abahu für keinen zureichenden Beweis, um den Text der Mischna zu ändern. Aber er hatte noch nicht die zahlreichen Zeugen vor sich, die übereinstimmend בית דין als


'Eduj. V 6, wo die Lehrer dem ‘Akabja b. Mahala’el, der bei seiner abweichenden Überlieferung beharrt, sagen: nimm die vier Sätze, die du vorgetragen hast, zurück und wir machen dich zum אב בית דין לישראל das Wort לישראל‎ spreche ziemlich deutlich für die Selbständigkeit und den höchsten Rang dieser Würde des ab-beth-din. Hiergegen ist vorläufig nur zu bemerken, daß das Gleiche auch vom zweiten Würdenträger in dem für das religiöse Leben des ganzen Volkes entscheidenden beth-din gesagt werden konnte, wie dieses selbst als סנהדרי גדולה של ישראל‎ seine Mitglieder als זקני oder חכמי ישראל bezeichnet wurden (oben S. 108). Für seine Ansicht hätte Jelski auch noch folgende Stelle aus Midr. Exod. rab. 15, 20 anführen können: »Die Einschaltung eines Monates erfolgt durch zehn Mitglieder des Kollegiums ‏.(זקן)‎ Als unsere Lehrer daran gingen, über die Monatseinschaltung zu beschließen, gingen zehn 152 tüchtige
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die richtige Leseart erweisen. Der einzige Grund, den Jelski anführt, daß הדיוט nicht den entsprechenden Gegensatz zu בית דין bilde, erledigt sich dadurch, daß man הדיוט als zunächst dem Könige gegenübergestellt ansieht; es entspricht übrigens auch als Gegensatz zum beth-din. Vgl. noch den alten Bericht in b. Kiddus. 66a: הדיוט שבישראל כך הוא דינו יאתה מלד וכהן גדול wo der הדיוט dem König und Hohenpriester gegenübergestellt ist.
152) Was die Zahl der zur Monatseinschaltung erforderlichen Lehrer betrifft, so ist schon oben S. 120, 107 auf diese Stelle hingewiesen worden. In der Mischna Synh. I 2 schreibt R. Meir 3 vor; Simon b. Gamaliel meint, man dürfe die Verhandlung mit dreien beginnen, mit fünf fortführen und mit sieben den Beschluß fassen, doch sei dieser auch bei dreien giltig. Es ist auffallend, daß sich Simon nicht nach dem Vorgehen seines Vaters richtet, der, wie wir gesehen haben, von vornherein sieben Lehrer zur Verhandlung berief; vgl. auch noch jer. Chagiga III 78d 15: מעשה שנבנסי שבעה זקינים לעבר את השנה בבקעת‎ Es scheint, daß die Diskussion in der Mischna die biblische und die durch das Schriftwort belegbare Vorschrift ohne jede Rücksicht auf die Praxis behandelt für den nach dem hadrianischen Vernichtungskampfe leicht möglichen Fall, daß die erforderlichen sieben Lehrer nicht zu haben sind. Auch Pirke di R. Eliezer VIII (vgl. Schechter in Jew. Quart. Rev. XIV 1902, 469) fordert die Anwesenheit von zehn Lehrern in folgendem eigentümlichen Satze: מעברין בשלשה רבי אליעזר או בעשרה שנ אלים נצב בעדת אל ואם נתמעטו מעשרה מביאין ספר תורה לפניהן ונעשין גורן עגולה ויושבין הגדול לפי גדלו . והקטן לפי קטנו את פניהם למטה בארץ ועומדין ופורשים את כפיהן לפני אביהן שבשמים וראש הישיבה מזכיר .. השם בקדושה גדולה יתר מיום הכיפורים בכהן גדול שהיה מזכירו שבע פעמים ג בפר ג שעיר ואחת בגורלות ושומעין בבית הוועד בת קול שמשתתפת עמהן בתפלה ומדברת בוידבר יי אל משה לאמר. ואם מעון הדור פעמים שאין שומעין מאומה כבימי... ‏‎ Da der Verfasser den zu seiner Zeit herrschenden Brauch beschreibt, gehört auch die Stelle aus Exod. rab. der gleichen. späten Zeit an und der ab-beth-din ist nach derselben zu beurteilen. In Midr. Lev. rab. 29, 4, Pesik. 152 lesen wir: R. Abahu deutete ‏אשרי העם יודעי תרועה‎ Psalm 89, 16 auf die fünf Lehrer, die sich versammeln, die Monaseinschaltung zu beschliesen. S. Straschun zur Stelle meint, die Deutung


Lehrer in das Lehrhaus hinein und der ab-beth-din mit ihnen; sie schlossen die Türen und verhandelten den ganzen Abend. Um Mitternacht sagten sie dem ab-beth-din: wir wollen ein Schaltjahr beschließen, bist du unserer Ansicht? Er antwortete: ich schließe mich euch an.« Hier ist die Persönlichkeit, welche durch ihre Zustimmung die Frage der Einschaltung entscheidet, nicht, wie im selben Falle in der Baraitha Synhedr. 11a, der Naßi, sondern der ab-beth-din; sonach wäre dieses der Titel des Vorsitzenden. Ebenso sagt R. Abin in Midr. Exod. rab. 5, 12: Gott wird einst die Ältesten Israels dem Synedrion gleich sich zu einem Kollegium versammeln lassen und wird an der Spitze aller wie der ab-beth-din stehen. Ähnlich lautet ein anonymer Satz in Midr. Tanchuma (קדושים 1, Buber 1): einst wird Gott sitzen und die Engel werden Stühle geben den Großen Israels, die sich setzen, und Gott wird wie der ab- beth-din mit ihnen sitzen und über die Völker Gericht halten. In Midr. Tanch. (שמיני 2, Buber 3, Agad. Beresch. XVI) lesen wir: Eli war sehr alt (I Sam. 2, 22), er besaß drei Kronen: er war Hoherpriester, König und ab-beth-din. Das letztere wird aus על מזוזת היכל יי I Sam. 1, 9 geschlossen, weil er am Eingange des Tempels saß (= in der Quaderkammer); und auch der Hinweis auf Cant. 7, 5 zeigt, daß der Agadist den Vorsitz im großen beth-din meint (s. S. 34, 32). Schließlich sei noch b. Chagiga 13a
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beruhe auf dem Artikel von העם während M. Straschun in מתת יה 53 die Worte בה' זקנים als unrichtige Auseinanderreißung von בהזקנים ansieht, so daß gar keine Zahl vorhanden wäre; doch ist dieses sehr hart. Brüll in seinen Jahrbüchern IV 68 macht darauf aufmerksam, daß R. Jehuda b. Baba während der hadrianischen Verfolgung fünf Jüngern die Ordination erteilte (b. Synh. 10b), weil vielleicht ein fünfgliedriges Kollegium das Recht hatte, den herangebildeten Jüngern das Lehramt zu erteilen (Synh. I 1); ferner, daß Jochanan b. Zakkai fünf Schüler hatte und in b. Synh. 43a fünf Schüler Jesu genannt werden. In Lydda bestand ein Fünferkollegium im Lehrhause, das Beschlüsse faßte: Tos. Tohor. IX 14, Mikwa’oth VIII 10, Sebi'ith IV 21, Mischna ‘Erub. III 4, Tos. III 16. Jedenfalls aber wurden zur Monatseinschaltung nur die hervorragendsten Lehrer berufen, vgl. außer der Äußerung des R. Gamaliel über Samuel den Kleinen noch Aboth di R. Nathan XIV 29a: Hillel hatte achtzig Schüler, dreißig von ihnen waren würdig, daß Gottes Majestät auf ihnen ruhe, wie auf Moses, ... dreißig waren würdig, an der Monatseinschaltung teilzunehmen. Hierfür hat der Parallelbericht in b. Sukka 28a und Aboth di R. Nathan 2. Recension XXVIII 29a: dreißig waren würdig, daß ihnen die Sonne stehen bleibe, wie dem Josua. Vgl. auch noch den Satz des R. Eleazar b. Pedath in jer. Rosch haSchana II 58b 32, b. Kethub. 112a.


erwähnt: R. Ze’ira153 sagte: die Geheimnisse der Schöpfungslehre teilt man nur dem ab-beth-din mit.154
Was die jüngeren Midraschstellen und Aussprüche betrift, so ist für dieselben natürlich die Gestaltung des Gelehrtenkollegiums zu jener Zeit zu berücksichtigen, in der R. Abin und R. Ze’ira lebten. Der Patriarch aus dem Hause Hillels ist uns da kaum dem Namen nach bekannt, von seinem Vorsitze im Gelehrtenkollegium oder seinem Wirken im Judentum ist nirgends die Rede. Dagegen hören wir, daß die Patriarchen des 4. Jahrhunderts von der Bestimmung in der Mischna Ta’anith II 1, daß der Naßi und der ab-beth-din an dem Fastengottesdienste teilnehmen, völlig absahen. Denn wir lesen in jer. Ta’anith II 65b 53: R. Chelbo sagte zu R. Jehudan, dem Naßi: komm mit uns hinaus und unsere Not schwindet; R. Joseh sagte: unser Fastengottesdienst ist nicht der richtige, weil der Naßi nicht mit uns ist. Der letzte unter den Patriarchen, der den Versuch gemacht hat, seiner Autorität Geltung zu verschaffen, aber das ererbte Recht, den Jüngern des Lehrhauses die Ordination zu erteilen, mißbrauchte, war Jehuda II um die Mitte des 3. Jahrhunderts; aber tatsächlich war die Bedeutung des Patriarchats mit R. Jehuda I geschwunden.155
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153) Wie Rabbinowiez zur Stelle bemerkt, hat En Jakob; ואמר רבי חייא ebenso die Responsen der Gaonen ed. Lyck Nr. 29, ‏שערי תשובה‎ Nr. 192 (vgl. Sachs in התחיה I 42) und R. Jesaia Trani; die Münchener Handschrift hat תני רבי חייא.
154) Die unverständliche Stelle in jer. Peßach. V 31a 13: R. Josua b. Levi sagt: die Gebete haben die Männer der großen Versammlung von den Patriarchen gelernt ‏אב בית דין‎ die schon verschiedenartig gedeutet und verbessert wurde, hat Ratner in ‏אהבת ציון‎ 105 auf das einfachste erklärt. Es stand hier ursprünglich die ganze Parallelstelle aus jer. Berakh, IV 7d im vollen Wortlaute, wurde aber von den Abschreibern als Wiederholung abgekürzt und es wurde ‏וגומר, עד אב בית דין‎ gesetzt, d. h. und so weiter bis zum letzten Worte des ganzen Stückes
155) Epiphanius (Adv. haeres. I 30, 4—11) erzählt von dem Apostaten Josef von Tiberias aus der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts, daß er als Apostolos einer der vornehmsten Juden war und an den Beratungen des Patriarchen über religionsgesetzliche Fragen, die ohne Unterbrechung eine Nacht und einen Tag dauerten, teilgenommen hatte. Da dieser bezeichnende Zug auf die Verhandlungen über die Monatseinschaltung hinweist, fanden dieselben noch in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts unter dem Vorsitze des Patriarchen statt, was der gegebenen Erklärung widerspricht. Aber selbst wenn wir jedem Worte in diesem Berichte des Epiphanius Glauben schenken, was bekanntlich nur mit großer Vorsicht geschehen darf, ergibt sich bloß,


Die Gelehrtenversammlungen fanden nicht mehr unter dem Vorsitze des Patriarchen, sondern unter dem des bedeutendsten Lehrers im Kollegium, dem ab-beth-din statt; auch die an die Gelehrsamkeit sich knüpfenden Rechte des Patriarchen gingen allmählich auf denselben über, ohne daß sich äußerlich sonst etwas an der Verhandlung des Kollegiums änderte. Dieser Entwicklung der Dinge entspricht auch die obige Schilderung von der Monatseinschaltung unter dem Vorsitze des ab-beth-din. Es soll aber nicht geleugnet werden, daß andere und zwar tannaitische Sätze, die den ab-beth-din allein nennen und den Eindruck machen, daß dieser das wirkliche Oberhaupt des Kollegiums war und mit dem Naßi identisch ist, der gegebenen Erklärung schon wegen der Zeit ihres Ursprunges entschieden widerstreiten. Denn im zweiten Jahrhundert bezeichnet ab- beth-din ohne Zweifel bloß den zweiten Vorsitzenden des Kollegiums, der wohl durch Gelehrsamkeit nicht bloß hervorragte, sondern auch den Naßi übertraf, aber doch nur die
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daß der Patriarch jener Zeit wieder die Rechte seiner Stellung geltend gemacht hat. Auf das 4. Jahrhundert bezieht sich auch der Ausspruch Rabhas in b. Chullin 92a (vgl. Dikduke Soferim z. St.), Genes, 32, 29b deute an: ‏ שעתידים שני שרים לצאת ממנו, ראש גולה שבבבל ונשיא שבארץ ישראל‎ wo der Naßi in Palästina als ‏שר‎ bezeichnet wird, wie der Res-Gelutha in Babylon. Ein von Sehechter in Jewish Quart. Rev. XIV 1902, 458 herausgegebener Bericht, der von dem Streite der Davididen und einer vornehmen Priesterfamilie wegen der obersten Würde in der das Gesetz und besonders den Kalender regelnden höchsten Religionsbehörde in Palästina in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts erzählt, meldet, daß der Inhaber dieses Amtes zwei Jahre vor seinem Tode alle Juden aus dem Gebiete von Tyrus und aus Galiläa versammelte und von allen Juden ermächtigt seinen Sohn Ebjathar zum Gaon, seinen zweiten Sohn Salomo zum ab-beth-din und Zadok b. R. Joschijahu zum אב ordinierte, und zwar wurde der bisherige Ab zum Gaon, der bisherige dritte im Amte wurde Ab. In einem Kaddisch aus der Zeit dieser drei Würdenträger und für dieselben, herausgegeben von Schechter in Kaufmanns Gedenkbuch, hebr. Teil 53, wird Ebjathar als ראש ישיבת גאון יעקוב Salomo als אב הישיבה und Zadoqk als שלישי בחבורה bezeichnet. Wir sehen hieraus, daß die alten Würden fortbestanden und auch die alte Organisation sich erhielt. Siehe Schechter 451, 6, der nicht bemerkt hat, daß es sich hier augenscheinlich nur um die Juden Galiläas und des früheren Phoeniziens handelt, wie ja die Amtsernennung dieser Männer in Haifa stattfindet (458, 20), ebenso die Regelung des Kalenders. Der Sitz der Behörde scheint Tyrus gewesen zu sein, da der Gaon Elia, der diese Anordnungen vor seinem Tode traf, dort gestorben ist (vgl. auch 451, 20 ff.). 484, 5 heißt der erste Würdenträger הנשיא הגדול ראש ישיבת גאון יעקב,‎ der zweite ‏אב בית דין של כל ישראל.‎


zweite Stelle einnahm. So heißt es im Sifre zutta (im Jalkut Deut. 18, 416): משל לאב בית דין שהון לו בנים הרבה והיו כולם עמי הארץ ובנו הגדול בן תורה. כתב לכל אחד ואחד חלקו חוץ מבנו הגדול. אמר, לכל אחד ואחד נתת חלק ולי אין אתה כותב. אמר לו. דייך תפוש את מקומי ‏ und ‎es wird sogar die‏ ‎Erblichkeit der Würde des ab-beth-din vorausgesetzt, was nur‏ ‎auf den Patriarchen, nicht aber auf das aus der Mitte des‏ ‎Gelehrtenkollegiums gewählte Schulhaupt paßt. Aber es ist‏ ‎nicht nur nicht bekannt, aus welcher Zeit dieser Satz stammt, ‎sondern die Sprache kennzeichnet ihn auch als ziemlich jung;‏ ‎und es ist sehr fraglich, ob hier überhaupt von einem Würden‎träger im Kollegium und nicht vielmehr, wie im Ausspruche des‏ ‎Amoräers R. Huna in b. Moöd katan 17a (S. 166), von einem bloß‏ ‎durch Gelehrsamkeit ausgezeichneten Manne die Rede ist. Und‏ ‎so fehlt jede Grundlage für einen Schluß auf die Amtsstellung‏ ‎des ab-beth-din im Kollegium. Ernstere Bedenken erweckt‏ ‎jedoch scheinbar die Baraitha in b. Sukka 29a, Derekh eresch II:‏ ‎wegen vier Dinge verfinstert sich die Sonne: wegen des ab-‏ ‎beth-din, der gestorben ist und nicht nach Gebühr betrauert‏ ‎wurde, wegen eines verlobten Mädchens, das in der Stadt um‏ ‎Hilfe gegen Vergewaltigung gerufen hat, ohne daß ihr jemand‏ ‎beistand, und wegen Sodomie und weil das Blut zweier Brüder‏ ‎zusammen vergossen wurde.157 Da hier einerseits von be‎stimmten Ereignissen die Rede sein dürfte, andererseits nicht‏ ‎das Geringste auch nur andeutet, daß dieser ab-beth-din der‏ ‎erste Vorsitzende des Kollegiums war, so muß auch jede Fol‎gerung hieraus in der bezeichneten Richtung als unbegründet‏ ‎gelten. Von nicht zu unterschätzendem Gewicht ist dagegen‏ ‎die bereits angeführte, besonders von Jelski betonte Meldung‏ ‎in der Mischna ‘Eduj. V 6, wo die Lehrer dem 'Akabja b.‏
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156) vgl. Sifre Deut. 162: מנין לכל פרנסי ישראל שבניהם עומרים תחתיהם, תלמוד לומר, הוא ובניו בקרב ישראל, כל שהם בקרב ישראל בנו עומד תחתיו wo die Erblichkeit der Würde aller פרנסים‎ erwiesen wird. Diesen Titel gibt R. Josua b. Chananja dem R. Gamaliel II nach dessen Absetzung in b. Berakh., 28a; doch setzt die Baraitha in b. Horaj. 13b: ‏בני תלמידי חכמים שממונים אביהם פרנם על הצבור‎ gleichzeitig mehrere voraus, vgl. S. 162, 142. Die Bedeutung des פרנם bedarf noch einer gründlichen Untersuchung.
157) Reifmann, הסנהדרין 9 vermutet hierin einen Hinweis auf tatsächliche Vorgänge in einer Stadt; ebenso Grätz in seiner Monatsschrift XXXIII 1884, 542, der den Satz auf Jehuda b. Baba bezieht, dessen Betrauerung durch das plötzliche Hereinbrechen der schrecklichen Verfolgung unter Hadrian unmöglich wurde, und auf die Hinrichtung des Julianus und Pappus.


Mahalal’el versprechen, ihn zum ab-beth-din Israels zu machen, wenn er vier Sätze widerrufe. Aber da ist die Frage nicht zu unterlassen, ob denn die Lehrer zur Zeit des nicht näher bestimmten Vorfalles noch das Recht hatten, sich den ersten Vorsitzenden zu wählen, und dieser nicht vielmehr ständig aus dem Hause Hillels war; es wäre denn, daß es sich um die Beratungen nach der Absetzung des R. Gamaliel II handelt, als die Lehrer einen Nichthilleliten, Eleazar b. ‘Azarja zum Vorsitzenden wählten, wie 'Akabja in der Tat in diese Zeit verlegt wird.158 Aber auch dieser Beweis wäre durch die von Kaempf (Frankels Monatsschrift V 1856, 153, 2) ausgesprochene Vermutung zu entkräften, daß Gamaliel nur als der Vorsitzende des Lehrhauses, nicht als der des Gelehrtenkollegiums seines Amtes entsetzt wurde.
Für die Zeit von 70 bis 135 ist aber besonders die noch nicht genügend aufgehellte Stellung des jamnesischen Kollegiums zu beachten. Die Baraitha in b. Synhedr. 32b, Sifre Deut. 144: צדק צדק תרדוף, הלך אחר בית דין יפה, אחר [בית דינו של[ רבי אליעזר ללוד, אחר |בית דינו של] רבן יוחנן בן זכאי לברור חיל der sich eine zweite, ausführlichere Baraitha anschließt mit Nennung derselben Lehrhäuser und der des Josua b. Chananja in Peki‘in, des Akiba in bene-Berak, des Gamaliel in Jabne und anderer, aber mit Bezeichnung derselben als ישיבה statt בית דין zeigt, daß gleichzeitig mehrere Kollegien, בית דין genannt, bestanden, deren Leiter, wie man nach den obigen Erörterungen vermuten darf, den Titel אב בית דין führten. Da nun auch Jabne in dieser Reihe steht und zwar mit Gamaliel als Oberhaupt, andererseits Jochanan b. Zakkai, wenn auch nicht in Verbindung mit dem Lehrhause in Jabne, sondern mit dem noch immer unbekannten Berur-Chajjil, und Jabne z. B. mit Lydda auf dieselbe Stufe gestellt wird (vgl. die Mischna Rosch hachSana IV, 1: משחרב בית המקדש התקין רבן יוחנן בן זכאי שיהו תוקעין בכל מקום שיש בו בית דין, אמר רבי אליעזר, לא התקין רבן יוחנן בן זכאי שיהו תוקעין אלא ביבנה בלבד. אמרו לו, אחד יבנה ואחד כל מקום שיש בו בית דין) Einrichtung aller dieser die gleiche war; und wir sähen die bereits früher ausgesprochene Vermutung bestätigt, daß die Häupter des Lehrhauses
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158) Rapoport in ‏ כרם חמד‎ V 176 Grätz in Frankels Monatsschrift II 1853, 191, vgl. Kämpf daselbst V 1856, 146 ff., neuerdings Mendelssohn in Revue des Etudes Juives XLI 1900, 31 ff.


in Jabne nach der Zerstörung des Tempels die von Simon b. Gamaliel II nach dem hadrianischen Kriege gebrauchte Titulatur nicht hatten. Als die Leiter des beth-din ihres eigenen Lehrhauses dürften sie אב בית דין genannt worden sein,159 während ראש בית דין in der Meldung des R. Josua b. Korcha (Rosch haSchanah IV 4): עוד זאת התקין רבן יוחנן בן זכאי. שאפילו ראש בית דין בכל מקום שלא יהו העדים הולכים אלא למקום הוועד den Vorsitzenden des aus den Leitern und Mitgliedern der einzelnen Lehrhäuser sich zusammensetzenden Kollegiums bezeichnete. Daher kam es, daß später jeder bedeutende Lehrer als אב בית דין bezeichnet wurde. Erst Simon b. Gamaliel II, der das beth-din von Usa über alle anderen stellte und es ganz dem großen beth-din in Jerusalem gleichsetzte, nahm den Titel נשיא den der Vorsitzende dieses geführt hatte, für sich in Anspruch, gab die Leitung des Lehrhauses an R. Nathan als ab-beth-din ab und scheint das Amt des חכם dessen Befugnisse unbekannt sind, geschaffen zu haben. Es wäre hiernach verständlich, daß 'Akabja b. Mahalal’el zum Leiter des Lehrhauses in Jabne auserkoren und ihm der entsprechende Titel des אב בית דין in Aussicht gestellt worden war. Es ist natürlich, daß er als solcher auch im großen beth- din die Führung hatte, was die Bezeichnung אב בית דין לישראל recht-
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159 Fin von Schechter in Jew. Quart. Rev. XIV 1902, 489 herausgegebenes Schreiben des Gaon Scherira erzählt aus mir unbekannter Quelle: ולא היה מומחה חוץ מרבי יוסי. אמר לו מאיר לסמכן אב בית דין, אמר להן צרתה בצדה. אמר לו שעה צרובה לז. התירו וסמכו אב בית דין וכתב לו תתיתב צפורי תתיתב. גם צפור מצאה בית. וכשנפט ררבי מאיר מלך רבי יוסי ושכב בצפורי R. Meir sei zum ab-beth-din ernannt worden. Es ist jedoch aus dem mir nicht ganz klaren Berichte zu erkennen, daß es sich nicht um die oberste Behörde handelt, an deren Spitze Gamaliel II und sein Sohn Simon II standen, sondern um das Lehrhaus und beth-din in Sepphoris, und R. Meir wird das Oberhaupt dieses mit dem bereits erörterten Titel ab-beth-din. R. Jose war es, der ihn in dieses Amt einsetzte, da er als Sepphorenser in seiner Vaterstadt großen Einfluß gehabt haben wird. Hierauf mag sich die Meldung in jer. Berakh. II 5b 56 beziehen (Genes. rab. 100, 7): R. Jose b. R. Chalafta lobte den R. Meir vor den Sepphorensern als großen, heiligen, bescheidenen Mann; aber sie wollten ihn nicht als solchen anerkennen. Aus dieser Stelle ist auch ersichtlich, daß R. Meir in Sepphoris lehrte. Es scheint mir, daß sich die obige Meldung auf die Zeit unmittelbar nach der hadrianischen Verfolgung bezieht, als die Lehrhäuser noch nicht eröffnet waren und die Ordnung des Gesetzes noch nicht wiederhergestellt war. R, Jose war der Einzige, der sich für die Sache einsetzen konnte, und R. Meir machte für sich den Mangel an Lehrern geltend; oder war es eine Partei, die für R. Meir eintrat, während eine andere R. Jose als Oberhaupt wollte.


fertigt. Im Einzelnen bedarf diese Aufstellung, wie ich wohl weiß, noch genauerer Ausführung, die aber vom eigentlichen Gegenstande ablenken würde.
Es ist nun sehr bemerkenswert, daß in der Reihe der in b. Synhedr. 32b aufgezählten beth-din, deren Aufsuchung im Falle von Zweifeln in religionsgesetzlichen Fragen besonders empfohlen wird, als letztes אחר חכמים ללשכת הגזית steht. Man sieht hieraus, daß die Behörde in der Quaderkammer dem Urheber dieser Zusammenstellung als ein beth-din, wie das in Jabne und sonst, überliefert war, die Organisation beider sonach gleich oder ähnlich gewesen. Auch diese Tatsache bestätigt es, daß die Titel für die Häupter des beth-din in Jabne und später in Uscha der Organisation der Weisen in der Quaderkammer entlehnt wurden, was übrigens bei dem Begründer des beth-din in Jabne, R. Jochanan b. Zakkai, der nicht bloß Mitglied, sondern auch zweiter Vorsitzender der obersten Religionsbehörde in Jerusalem gewesen war, selbstverständlich ist. Er hat neben Simon b. Gamaliel I, der wegen seiner edlen Abkunft und seines Einflusses in der Hauptstadt an die Spitze des großen beth-din gestellt worden war, als einer der größten Lehrer und Schriftgelehrten seiner Zeit und als erfolgreicher Bekämpfer der Sadducäer dieselbe Würde bekleidet, wie später neben Simon b. Gamaliel II R. Nathan und R. Meir, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß er auch den Titel אב בית דין führte. Nach der Zerstörung des Tempels galt es ihm wohl, sein Lehrhaus und beth-din zur Erhaltung der Einheit des Judentums zur obersten religiösen Behörde zu gestalten; aber er war weit davon entfernt, darin mehr, als ein nur für die erste Zeit der schrecklichen Lage geschaffenes Surrogat zu sehen, und es fiel ihm nicht bei, die stolzen Titel aus der obersten Behörde auf sein Kollegium anzuwenden, denn der Abstand war gar zu groß. Erst, als sich dasselbe zu der großen Bedeutung dieser für das ganze Volk Israel's entwickelt hatte und es die durch die hadrianischen Wirren verursachte Zerrüttung als notwendig erscheinen ließ, die Autorität des die Einheit des religiösen Lebens wahrenden einzigen beth-din zu erhalten, entschloß sich Simon b. Gamaliel II zur Inanspruchnahme der alten Würden.
Diese so umständliche Darlegung sollte zeigen, daß wohl Simon b. Gamaliel II der erste ist, der nach der Zerstörung des Tempels als der Vorsitzende des beth-din in Uscha den Titel Naßi hatte, während der zweite Vorsitzende als ab-beth-din bezeichnet wurde; seine Zeit sonach zuerst die Organisation aufweist, die in der Mischna Chagiga II 2 mit dem Namen Hillels und seiner vier Vorgänger als der Vorsitzenden des großen beth-din in Jerusalem, der obersten Religionsbehörde verknüpft erscheint. Aber es sollte auch klar werden, daß bestimmt lautende Belege dafür überliefert sind, daß diese Männer schon vor der Zeit des Simon b. Gamaliel II als ‏נשיא‎ ‎und ihre Beisitzer als ‏אב בית דין‎ bezeichnet wurden und daß Simon b. Gamaliel nur die Organisation dieser hohen Behörde in Jerusalem auf sein Kollegium übertrug. Die Geschichtlichkeit der Naßiwürde Hillels wird daher ohne zureichenden Grund angezweifelt, ja sogar in Abrede gestellt. Die Forscher wären auf ihre gekünstelte, den Gesetzen allgemeiner Forschung widersprechende und den Wortlaut der tannaitischen Nachrichten vergewaltigende Erklärung nicht verfallen, wenn sie in dem bloß die oberste Religionsbehörde darstellenden beth-din in Jerusalem nicht das große Synedrion gesehen hätten, dessen Vorsitzende in der Tat Hillel, Gamaliel und Simon nie gewesen sind.


4. Schema’ja und Abtaljon, die Vorsitzenden des beth-din und ihre Vorgänger.

Wir haben oben (S. 146 ff.) die Lehrer Hillels, Schema’ja und Abtaljon kennen gelernt und sie als גדולי הדור die Großen ihrer Zeit bezeichnet gefunden. Daß auch sie einer Behörde in Jerusalem angehörten, ergibt sich aus der Meldung in der Mischna 'Eduj. V 6, Sifre Num. 7 von dem bereits mehreremale erwähnten Streite zwischen 'Akabja b. Mahalal’el und seinen Kollegen. 'Akabja sagt nämlich, daß das in Numeri 5 vorgeschriebene Prüfungswasser weder einer Proselytin, noch einer Freigelassenen gegeben wird; die anderen Lehrer, die hierin entgegengesetzter Meinung sind, führen folgenden Fall als Beweis an: Karkhemith, eine Freigelassene in Jerusalem, ließen Schema'ja und Abtaljon das Wasser trinken. Es fragt sich nun, in welcher Eigenschaft die beiden Lehrer die Frau zum Trinken des Prüfungswassers veranlaßten. Laut Numeri 5, 15 führt der Gatte selbst seine des Ehebruches verdächtigte Frau zum...