KAP. 42. MIKEZ - בראשית מב ‏מקץ von Rabbi Samson Raphael Hirsch

Kap. 42. V. 1. Jakob sah, daß Detailverkauf in Mizrajim war und es sprach Jakob zu seinen Söhnen: Warum seht ihr euch einander an? 2. Er sprach nämlich: Seht, ich habe gehört, daß in Mizrajim ein Detailverkauf stattfindet, gehet dorthin hinab und kauft einzeln uns von dort, damit wir leben bleiben und nicht umkommen. 3. ‎So gingen der Brüder Josef’s‏. ‎Zehne hinab, im Einzelnen Korn von‏ ‎Mizrajim zu kaufen. 4. Binjamin aber, Josef’s Bruder, schickte er nicht mit den Brüdern; denn er sagte, es könnte ihn ein Unglück treffen. 5. So kamen die Söhne Jisrael’s den Einzelkauf zu besorgen mitten unter den Kommenden; denn es war die Hungersnoth im Lande Kenaan. 6. Und Josef war der Gebieter über das Land und er war zugleich derjenige, der den Verkauf im Einzelnen an die ganze Bevölkerung des Landes besorgte. Die Brüder Josef’s kamen und beugten sich ihm mit dem Angesichte zur Erde. 7. Wie Josef seine Brüder sah, erkannte er sie. Er stellte sich ihnen aber fremd und sprach mit ihnen in harter Weise und sagte zu ihnen: Wo kommt ihr her? Sie sagten: vom Lande Kenaan, Nahrung im Einzelnen einzukaufen. 8. Josef erkannte seine Brüder, sie aber erkannten ihn nicht. 9. Da gedachte Josef der Träume, die er von ihnen geträumt, und sprach zu ihnen: Kundschafter seid ihr!‎ Die Blöße des Landes zu sehen seid ihr gekommen! 10. Sie sagten zu ihm: Nicht, mein Herr, deine Diener sind gekommen Nahrung für den Bedarf einzukaufen. 11. Und Alle, Söhne Eines Mannes sind wir; rechtliche Menschen sind wir; deine Diener waren nie Kundschaften. 12. Er aber sprach zu ihnen: Nein! Die Blöße des Landes seid ihr zu sehen gekommen. 13. Sie erwiederten: Zwölf sind wir, deine Diener, Brüder, Söhne Eines Mannes im Lande Kenaan. Siehe, der Jüngste ist heute noch bei unserm Vater, und der Eine ist nicht mehr da. 14. Josef aber sagte zu ihnen: Das ist es gerade, was ich euch gesagt habe; ihr seid Kundschafter. 15. Dadurch sollt ihr erprobt werden: bei Pharao’s Leben! Ihr kommet nicht fort von hier, wenn nicht euer jüngerer Bruder hierher kommt. 16. Schicket Einen von Euch, daß er euren Bruder hole und ihr bleibet gefangen, damit eure Worte erprobt werden, ob Wahrheit bei euch ist. Wenn aber nicht, bei Pharao’s Leben, so seid ihr Kundschafter! 17. Er nahm sie drei Tage in Gewahrsam. 18. Am dritten Tage sprach Josef zu ihnen: Thuet dies und bleibt am Leben! Ich bin gottesfürchtig! 19. Seid ihr rechtliche Männer, bleibe Ein Bruder von euch gefangen im Hause eures Gewahrsams, ihr aber gehet, bringet den Einkauf für den Hunger eurer Häuser heim, 20. und euren jüngern Bruder bringet zu mir, damit eure Worte sich bewahrheiten und ihr nicht sterbet; sie thaten also. 21. Da sprachen sie Einer zum Andern: Wir tragen also doch eine Schuld um unsern Bruder, daß wir die Noth seiner Seele mit angesehen als er zu uns flehte, und wir kein Gehör gaben! Darum ist uns diese Noth gekommen! 22. Reuben entgegnete ihnen: Habe ich euch nicht gesagt: versündigt euch nicht an dem Kinde, Ihr wolltet aber nicht hören. Seht, darum wird auch sein Blut jetzt geahndet! 23. Sie wussten aber nicht, daß Josef sie verstand, denn der Dolmetscher war zwischen ihnen. 24. Er wendete sich von ihnen und weinte. Er kehrte dann wieder zu ihnen zurück, sprach mit ihnen, nahm von ihnen den Schimeon und ließ ihn vor ihren Augen fesseln. 25. Josef befahl es, da füllte man ihre Geräthe mit Getreide; aber auch ihr Geld, jedem in seinen Sack zurückzulegen und ihnen auch Vorrath für die Reise zu geben; man that ihnen also. 26. Sie nahmen ihren Einkauf auf ihre Esel, und gingen von dannen. 27. Da öffnete Einer seinen Sack um seinem Esel Futter in der Herberge zu geben, da sah er sein Geld und siehe, es war obenan in seinem Gepäcksack. 28. Er sagte zu seinen Brüdern: mein Geld ist wieder zurückgegeben und es liegt sogar in meinem Gepäcksack. Da entging ihnen ihr Herz und sie sagten erschrocken Einer zum Andern: Was hat uns Gott da gethan! 29. Sie kamen ihrem Vater Jaakob zum Lande Kenaan und erzählten ihm Alles, was sie betroffen, nemlich: 30. Der Mann, der Herr des Landes, hat hart mit uns gesprochen, hat uns dahingestellt, als kundschafteten wir das Land aus. 31. Wir sagten ihm, wir sind rechtliche Leute, wir waren nie Kundschafter. 32. Zwölf Brüder sind wir, Söhne unseres Vaters; der eine ist nicht da, und der jüngste ist heute noch bei unserem Vater im Lande Kenaan. 33. Der Mann, der Herr des Landes, sagte uns darauf: Daran will ich erkennen, daß ihr rechtliche Leute seid, euren einen Bruder lasset bei mir, und das, wonach es eure Häuser hungert, nehmet und gehet, 34. und bringet euren jüngern Bruder zu mir, so will ich wissen, daß ihr rechtliche Leute seid; euren Bruder werde ich euch dann geben und das Land mögt ihr bereisen. 35. Da war es, sie leeren ihre Säcke aus, und siehe, da hatte Jeder sein Geldbündel in seinem Sacke! Sie und ihr Vater sahen ihre Geldbündel und fürchteten sich. 36. Ihr Vater Jakob sprach aber zu ihnen: Mich habt ihr kinderlos gemacht! Josef ist nicht da, Schimeon ist nicht da, und Binjamin wollt ihr fortnehmen — über mich ist doch alles Dieses ergangen! 37. Da sprach Reuben zu seinem Vater: Meine beiden Söhne sollst du tödten, wenn ich ihn dir nicht heimbringe. Gieb ihn mir in Händen, ich bringe ihn dir wieder. 38. Er aber sprach: Mein Sohn wird nicht mit euch hinabgehen; denn sein Bruder ist todt, er allein ist übrig, würde ihn ein Unglück auf dem Wege treffen, den ihr gehet, so würdet ihr mein greises Haupt in Kummer in’s Grab bringen.


V. 9. Wir müssen aus dem Gegebenen versuchen, uns Josef’s Benehmen zu erklären. Wir hätten denken sollen, er habe schon um seines Vaters willen sich ihnen sofort zu erkennen geben müssen, um so mehr, da er ja bereits in Allem die göttliche Fügung erkannt und all sein Unglück sammt der Versündigung der Brüder gegen ihn als das göttliche Werkzeug seines höchsten Glückes verehren gelernt hatte. Ein gescheidter Mann wie Josef kann auch nicht geglaubt haben, sich in den Dienst seiner Träume stellen zu müssen. Bedeutet der Traum Etwas, so überlässt man dessen Realisirung Dem, der ihn geschickt. Es können ihn nur Erwägungen der zwingendsten Nothwendigkeit zu einem Verfahren veranlasst haben, das sonst als eine völlig zwecklose Chikanirung erscheinen würde, die man, abgesehen von dem sittlichen Charakter Josef’s, schon seiner doch gewiß unleugbaren Klugheit nicht zutrauen dürfte. Denken wir uns ganz in seine Lage, so dürfte sich uns Folgendes ergeben: Würde Josef seinem Vater und seinen Brüdern gegenüber wirklich der Fürst und nichts als der Fürst haben bleiben wollen, hätte ihm nichts daran gelegen, wieder als Sohn und Bruder in den Kreis der Familie einzutreten, er hätte aller dieser Veranstaltungen nicht bedurft. Allein er, der auch als egyptischer Fürst seine Kinder für das Haus Jakob erzogen und auch seine Gebeine einst in väterlichem Boden wollte ruhen lassen, er musste zuvor ein Zwiefaches als nothwendig erkennen: a), daß er wo möglich von seinen Brüdern, vor Allem aber b), daß seine Brüder von ihm eine andere Meinung erhielten. Ihre inneren Gesinnungen zu einander mussten zuvor völlig andere geworden sein, sonst wäre nie ein inniges Verhältniß wieder möglich gewesen, und wenn auch äußerlich der Familie wiedergegeben, wäre ihm die Familie und er für sie verloren geblieben. Daß Josef’s Meinung von den Brüdern keine ungetrübte, daß ihm ihre heftige Rücksichtslosigleit gegenwärtig geblieben, mit der sie seines Flehens in der Grube, mit der sie des Schmerzes des Vaters nicht geachtet, das ist durchaus natürlich und konnte nur durch den Erweis vollständiger Aendernng aus seinem Gemüthe getilgt werden. Es war ihm daher eine Nothwendigkeit, sie zu prüfen, ob sie wohl noch einmal im Stande wären — und zwar aus durchaus reellen Ursachen — einen Sohn dem Vater abzulocken. Vielleicht lebenslängliches Gefängnis, die zu Hause vielleicht verhungernde Familie waren ernstere Gründe, als eine imaginäre, von Josef’s vermeintlicher Herrschsucht drohende Gefahr. Diese Prüfung war für Josef’s Gemüth nothwendig, um, wenn sie sie bestehen, den letzten bittern Tropfen aus seinem Innern zu tilgen. Das Zweite aber, und vielleicht das Wichtigere war: Josef gedachte seiner Träume, gedachte, wie diese Träume bei ihnen die Vorstellung von seiner Herrschsucht und der ihnen daraus drohenden Gefahr geweckt und zu einer solchen tiefen Ueberzeugung gesteigert, daß sie sich aus vermeintlicher Selbstvertheidigung zu dem größten Verbrechen berechtigt halten konnten. War dies bereits der Fall, als er noch im verbrämten Rock zwischen ihnen umherlief, um wie viel mehr musste er jetzt von ihnen mit Angst und Schrecken gefürchtet werden, wo er »König« war und noch dazu Ursache hatte, sie zu hassen und nach Art gemeiner Seelen sich an ihnen zu rächen. Es war daher mehr als nothwendig, daß sie ihn in seinem wahren Charakter kennen lernten, und dazu war es vor Allem nöthig, daß er sich ihnen in seiner wahren Stellung zeigte. Bisher kannten sie ihn nur als den ‏,משביר‎ vielleicht den Commis eines untergeordneten Beamten, er musste sich ihnen als den ‏שליט‎ zeigen, sie mussten erfahren, wie er jetzt Alles mit ihnen machen konnte, was er wollte, und wenn er dann doch, statt allen Dessen, nur ihr größter beglückender Wohlthäter wurde, so durfte er hoffen, sie damit von allen ihren irrigen Vorstellungen geheilt zu haben. Kurz, in dem Momente, wo er sich ihnen als Josef zeigte, musste ihnen die Binde von den Augen fallen und beiderseits ein völliger Strich durch die ganze Vergangenheit möglich sein. Nur so durfte er hoffen, wieder als Sohn und Bruder dem Vater und seinen Kindern wiedergegeben zu werden. Irren wir nicht, so dürften eben solche Erwägungen es auch gewesen sein, die Josef davon zurückgehalten, in den Jahren seines Glückes seinem Vater Kunde von sich zu geben. Was hätte Jakobs Herz dabei gewonnen, gegen Ein wiedergewonnenes Kind zehn Kinder zu verlieren und fortan seinen Kinderkreis nur in feindseligster Spannung gegen einander denken zu müssen?! Zu diesem großen Ziele, waren aber alle diese Veranstaltungen unumgänglich und — wie uns scheint — der Weisheit eines Josef völlig würdig. —