Messianologie und Eschatologie

II. Messianologie und Eschatologie.

Zu den schwierigsten Problemen der jüdischen Messianologie gehört folgende Frage: wodurch und inwiefern ist der Messianismus von der Eschatologie im weitern Sinne des Wortes zu unterscheiden? Unter Eschatologie im weitern Sinne verstehe ich nämlich einerseits die Lehre vom Jenseits und der Vergeltung in demselben, andererseits aber die Vorstellungen vom Jüngsten Gericht, von der Auferstehung der Todten und der Erneuerung der Welt. Da es in der jüdischen Religion bis in das X. nachchristlische Jahrhundert hinein keine feststehende Dogmatik gegeben hat und auch die messianischen und eschatologischen Vorstellungen sogar von den orthodoxesten Lehrern der Synagoge sehr frei behandelt werden, so ist es kein Wunder, dass in der ganzen nachbiblischen Litteratur die messianische Zeit, das Leben nach dem Tode und die nach der Auferstehung der Todten zu erneuernde Welt fortwährend mit einander verwechselt werden. Für die beiden letzten Begriffe (»Jenseits« und »erneuerte Welt«) gibt es im rabbinischen Schrifttum bloss einen Ausdruck: ‏עולם‎ ‏,הבא‎ der dem evangelischen ὁ αἰών ὅ ερχόμενος oder ὁ αἰὼν ὁ μέλλων entspricht. Denn beide drücken nur den Gegensatz aus zu: »diese Welt« ‏עולם הזה‎ (ὁ αἰὼν οὗτος oder ὁ νῦν αἴών). Mit diesem »’Olam Haba« wird eben das messianische Zeitalter sehr häufig verwechselt oder zusammengewürfelt. Einige Beispiele werden genügen, um dies festzustellen.

In einer Baraitha, in der von der zukünftigen Theilung Israel’s in 13 Theile die Rede ist, lesen wir folgendes: »Und nicht wie die Theilung in dieser Welt (של עולם הזה) wird die Theilung in der zukünftigen Welt (‏של עולם הבא)‎ vor sich gehen. Wenn in dieser Welt Jemand ein Getreidefeld besitzt, so besitzt er keinen Obstgarten, und wenn er einen Obstgarten besitzt, dann besitzt er kein Getreidefeld; in der zukünftigen Welt aber giebt es keinen, der nicht auf dem Berge, in der Ebene und im Thal einen Besitz haben Wird (d. h. Jeder wird verschiedene Ländereien besitzen, in welchen Getreide und Weinstöcke gedeihen). Denn es ist gesagt worden (Ezechiel, XLVIII 31): »Das Thor Reubens, eines; das Thor Judas, eines; das Thor Levis, eines«. (Das soll bedeuten, dass alle diese Stämme in ihren Besitzthümern einander gleich sein werden).

Unter diesem ‏עולם הבא‎ ist sicher nicht »die zukünftige Welt« nach dem Tode, oder nach der Auferstehung zu verstehen, sondern einzig und allein das messianische Zeitalter. Die Theilung des israelischen Bodens. die Zuertheilung von Getreidefeldern und Obstgärten und der Hinweis auf Ezechiel XLVIII — Alles deutet auf die Messiaszeit hin. Auf diese Zeit haben es auch schon die Amoräer bezogen. Denn auf die Frage: »Für wen ist der dreizehnte Theil bestimmt?«, antwortet der Amoräer Rab Chisda: »Für den Fürsten« (nach dem Commentar des Samuel ben Meir zur Stelle: »Für den König Messias«).

Noch eine interessante Stelle. Mit Bezug auf Deuteronomium ΧΧΧII, 14 (»Und Traubensaft wirst du als Wein trinken«) wird folgende tannaitische Uebellieferung mitgeteilt:‎ »Nicht wie diese Welt ist die zukünftige Welt (לא כעולם הזה העולם הבא)‎ in dieser Welt gibt es Mühe bei der Weinlese und beim Keltern; in der zukünftigen Welt aber bringt [ein Mensch] in einem Wagen oder in einem Schiffe eine Traube und legt sie in einen Winkel seines Hauses und geniesst von ihr so viel, wie aus einem grossen Weinfass« etc., denn »es wird keine einzige Traube geben, die nicht 30 Fass enthielte«. Zweifellos — alle diese hyperbolischen Vorstellungen von der zukünftigen Fruchtbarkeit Israel’s sind nicht eschatologischer, sondern messianologischer Natur. ln Kapitel X werden wir Gelegenheit haben, viele Parallelstellen zu diesen Uebertreibungen anzuführen, die sich ausdrücklich auf die Messiaszeit beziehen. Wir können also ohne Weiteres daran festhalten, dass hier ‏עולם הבא‎ im Sinne von »messianisches Zeitalter« gebraucht wird.
Ein drastisches Beispiel, wie schon in frühester Zeit »’Olam Haba« und »Jemoth Hammaschiach« verwechselt zu werden pflegten‎ finden wir schon in der Mischnah des jerusalemischen Talmud. Die letzte Mischnah des ersten Abschnittes des Tractats Berachoth theilt eine Controverse mit zwischen Ben Zoma (einem älteren Schüler Akiba's) und den anderen Gelehrten über die Frage, ob der die Erinnerung an den Auszug aus Aegypten enthaltende biblische Abschnitt Numeri XV, 37—41 auch im Nachtgebete recitiert werden soll. Aus dem Worte ‏כל‎ (»alle«) im Satze: »Damit du gedenkest des Tages, da du auszogst aus Aegypten, alle Tage deines Lebens«, folgert Ben Zoma, dass auch des Nachts der Auszug aus Aegypten erwähnt werden müsse. Die anderen Gelehrten deuten aber den Schriftvers so: »Die Tage deines Lebens, das heisst: diese Welt (העולם הזה)‎ das Wort: »alle« (Tage deines Lebens) — bezieht sich auf das messianische Zeitalter« (ימות המשיח)‎. So lautet die Controverse nicht blos in den separaten Mischnah-Ausgaben, sondern auch in der Mechiltha und in der Mischnah des babylonischen Talmud. Nun lautet aber der Satz der anderen Gelehrten in der Mischnah des jerusalemischen Talmud folgendermassen: »Und die Gelehrten sagen: ,Die Tage deines Lebens« — das ist diese Welt, ,alle Tage deines Lebens’ — d. i. die zukünftige Welt, welche das messianische Zeitalter in sich schliesst« (כל ימי חייך העולם הבא להביא לימות המשיח)‎ »Die zukünftige Welt« und »das messianische Zeitalter« sind also nach dieser Stelle des jerusalemischen Talmud gar nicht von einander zu trennen.
Im rabbinischen Schrifttum giebt es aber auch eine ganze Anzahl von Stellen, in welchen »die Tage des Messias« der »zukünftigen Welt« direct entgegengesetzt werden. Bezugnehmend auf Deuteron. XXXIII 12 (»Er beschirmt ihn allezeit und wohnt zwischen seinen Bergrücken«), deutet eine Baraitha den Ausdruck: »er beschirmt ihn« auf den ersten Tempel, das Wort »allezeit« auf den zweiten Tempel und die Worte »und wohnt zwischen seinen Bergrücken« auf das messianische Zeitalter. Darauf sagt Rabbi (Jehudah Ι, der Patriarch): »Er beschirmt ihn« in dieser Welt, »allezeit« im messianischen Zeitalter (ימות המשיח)‎ »und wohnt zwischen seinen,Bergrücken« in der zukünftigen Welt (‏העולם הבא‎)
ln einer anderen Baraitha lesen wir Folgendes: »R. Jehudah ben Ilai, ein jüngerer schüler Akiba’s) sagt: die Zither des Tempels hatte sieben Saiten, denn es ist gesagt worden (Ps. XII, 11): »Eine Fülle (שבע)‎ von Freuden vor deinem Angesicht«; lies nicht ‏שבע‎ (Fülle), sondern ‏שבע‎ (sieben). Die Zither des messianischen Zeitalters aber (‏המשיח‎ ימות) wird acht Saiten haben, denn es ist gesagt worden (Ps. XII, 1): »Dem Sieger auf der achten«, d. h. auf der achten Saite. Aber die Zither der zukünftigen Welt ‏ושל‎ ‏עולם הבא‎ wird zehn Saiten haben, denn es ist gesagt worden (Ps. XCII): »Mit dem zehnsaitigen lnstrumente (עשור) und mit der Harfe, mit dein Saitenspiel auf der Zither« und er (d. i der Bibelvers) sagt (Ps. XXXIII 2—3): »Danket Gott mit der Zither, auf zehnsaitiger Harfe spielet ihm; singt ihm ein neues Lied«.
Es ist einleuchtend, dass hier das messianische Zeitalter von der »zukünftigen Welt« streng unterschieden wird.
Wir besitzen übrigens eine Baraitha, die das wahre Wesen des ‏עולם הבא‎ klarlegt: »Ιn der zukünftigen Welt giebt es weder Essen noch Trinken, weder Zeugung noch Fortpflanzung sondern die Frommen sitzen mit Kronen auf den Köpfen und laben sieh am Glanze der Gottheit, denn es ist gesagt worden (Exod.XXIV, 11): «Und sie schauten Gott und assen und tranken’ (d. h. das Schauen der Gottheit bedeutete für sie so viel, wie Essen und Trinken«). Nun könnte man glauben, dass hier unter ‏עולם הבא‎ einfach das Jenseits, das Leben nach dem Tode gemeint sei. Aber die amoräische Auseinandersetzung, welche unmittelbar auf diese Baraitha folgt, zeigt sehr deutlich, dass hier von der zukünftigen Welt, wie sie sich nach der Messiaszeit gestalten wird, die Rede ist. Die Amoräer fragen: Bezugnehmend auf Ps. LXXII, 16 ‏יהי פםת‎ ‏בר בארץ בראש הרים‎ »es wird Ueberfluss an Korn im Lande sein, auf dem Gipfel der Berge« sagten die Tannaiten; ,Nicht wie diese Welt ist die zukünftige Welt: in dieser Welt giebt es Mühe bei der Weinlese und beim Keltern; in der zukünftigen Welt hingegen entsendet Gott einen Wind aus seinen Vorratskammern und weht über die Weinstöcke hin und sie lassen die Trauben auf den Boden fallen, so dass ein Mensch, der ins Feld geht und sich eine Handvoll Trauben holt, von ihr seinen Unterhalt und den seiner Familie hat. Verhält es sich wirklich so, fahren die Amoräer fort, in der zukünftigen Welt, wie die Baraitha lehrt, wozu sollte dann der Unterhalt dienen? Auch finden die Amoräer in Bezug auf das von der Baraitha behauptete Aufhören der Zeugung und Fortpflanzung einen Widerspruch mit dem Satze Rabban Gamliels, der aus dem Schriftwort (Jeremias, XXXI, 7): »Schwangere und Wöchnerin zugleich« folgert, dass das Weib in Zukunft täglich gebären werde. Und darauf antworten die Amoräer: »Dasjenige, was wir [hier] gelernt haben, bezieht sich auf die Zeit vor der Auferstehung der Todten. (קודם תחית המתים)‎; dort aber (d. h. in den aus Kethuboth und Sabbath angeführten Sätzen) ist das messianische Zeitalter (לימות המשיח) gemeint«.
Es ist klar: die Messiaszeit und die zukünftige Welt dürfen nicht mit einander verwechselt werden. Aber schon in der Mischnah und in den ältesten Baraithoth werden diese zwei Begriffe ziemlich bewusst auseinandergehalten. Ganz consequent kann dieses Auseinanderhalten natürlich nicht durchgeführt werden. Denn schliesslich ist ja auch die Messiaszeit eine »zukünftige«, noch nicht eingetretene Welt im Verhältnisse zur gegenwärtigen Deshalb pflegten die Tannaiten diese ziemlich häufig mit dem »’Olam haba« zu verwechseln. Wir haben nur ein einziges Kriterium, um diese beiden Begriffe von einander zu trennen. Wo wir in einem Satze über »’Olam haba« Verheissungen materieller und politischer Art begegnen, wo wir in den Träumereien über die »Zukünftige Welt« deutliche Züge finden, die an die Uebertreibungen des Henochbuches, desIV. Buches Εzra, der Baruchapocalypse, des Papias und anderer Chiliasten, sowie auch der Thargumim erinnern, dort können wir ruhig dieses ‏עולם הבא‎ als Nebenbezeichnung für das messianische Zeitalter betrachten. Dagegen müssen sämmtliche Sprüche ausgeschlossen werden, in welchen von der Auferstehung der Todten, vom jüngsten Gericht und der erneuerten Welt die Rede ist. Denn alles das geschieht nach dem messianischen Zeitalter und gehört nicht mehr zur Messianologie, sondern zur Eschatologie. Daher haben wir diese drei Puncte aus unserer Darstellung ausgeschlossen.

Genau so wie mit dem Ausdruck ‏עולם הבא‎ verhält es sich mit dem Ausdrücke ‏.לעתיד לבא‎ Wörtlich bedeutet er: »Am kommen sollenden, am Zukünftigen«. Natürlich kann ein solcher Ausdruck, der ganz allgemein den Gegensatz zur Gegenwart überhaupt kennzeichnet, ebenso gut das Jenseits, wie das messianische Zeitalter und die zukünftige Welt bezeichnen. Und in der That, wenn R. Tarphon, z. B., in einer Mischnah sagt: »Und wisse, dass die Belohnung der Frommen ‏לעתיד לבא‎ stattfindet«, so ist hier sicherlich die Vergeltung im Paradiese gemeint. Wenn wir aber in einer anderen Mischnah lesen: »Aber in Bezug auf ‏לעתיד לבא‎ sagt er (der Bibelvers: Jesajah, XXV, 8): »Vernichten wird er den Tod für immer und Gott der Herr wird die Thränen von allen Angesichtern abwischen«,‎ so ist damit sicher die Zeit des »’Olam haba« gemeint, in der die Auferstehung der Todten stattfinden und der Tod selbst verschwinden soll. Ausdrücklich wird diese nachmessianische Zeit als ‏לעתיד לבא‎ in derjenigen Baraitha bezeichnet, die von den 12, dem vorhadrianischen Tannaiten Josua ben Chananjah gestellten Fragen, berichtet. Eine dieser Fragen lautet: »Bedürfen die Todten ‏לעתיד לבא‎ der Besprengung mit Reinigungswasser am dritten und siebenten Tage, oder nicht?« Daraus antworte Jdosua ben Chananjah: »Wenn sie wieder aufleben werden, so werden wir über sie nachdenke«. Hier fällt לעתיד לבא ‏ mit תחיית ‎ ‏המתים‎ zusammen.
Nun haben wir aber eine ganze Anzahl von Stellen, in denen »Le’athid labo« seiner Bedeutung nach den »Jemoth hammaschiach« gleichkommt. Wir haben schon vorher die Controverse Ben-Zom a’s, eines ältern Schülers Akiba’s, mit den anderen Gelehrten in der Mischnah Berachoth (Ι. 4) über die Erwähnung des Auszuges aus Aegypten zur Messiaszeit angeführt. Die Controverse kommt, wie wir schon gesehen haben, fast wörtlich, mit ausdrücklicher Hervorhebung der »Jemoth hammaschiach«, auch in der Mechiltha vor. Eine auf diese Controverse sich beziehende Baraitha lautet im babylonischen Talmud (Berachoth 12b g. Ende) wie folgt: »Ben Zoma sagte zu den Gelehrten: Gedenkt man denn des Auszuges aus Aegypten zur Messiaszeit (לימות המשיח)‎ Es ist doch schon gesagt worden (Jeremias XXIII, 7): »Darum, fürwahr, es kommt die Zeit — ist das Wort Gottes — da wird man nicht mehr sagen: So wahr Gott lebt, der die Israeliten aus dem Lande Aegypten herausgeführt hat etc.« Genau dieselbe Replik Ben-Zoma’s mit Bezugnahme auf Jeremias XXIII, 7 findet sich auch in der Meehiltha; aber an dieser Stelle fängt das ganze mit den Worten an: ‏עתידים ישראל‎ ‏.שלא להזכיר יציאת מצרים לעתיד לבא‎ Hier steht also ‏לעתיד לבא‎ geradezu für ‏.לימות המשיח‎

Ebenso verhält es sich mit einer anderen auch schon oben angeführten Controverse des Patriarehen Jehuda I. mit den anderen Gelehrten in Bezug auf Deuteron. ΧΧΧΙII, 12. Im babylonischen Talmud (Zebachim 118b) lautet die Meinung der Gelehrten: ‏חופף עליו זה‎ ‏.מקדש ראשון כל היום זה מקדש שני ובין כתפיו שכן אלו ימות המשיח‎ Aber im Siphre lautet der letzte Satz: ‏ובין כתפיו שכן בנױ ומשוכלל‎ ‏.לעתיד לבא‎ Also auch hier ‏לעתיד לבא‎ für ‏.ימות המשיח‎

Wir haben aber auch eine Baraitha, in der ‏לעתיד לבא‎ gerade in ausdrücklichem Gegensatz zu ‏ימות המשיח‎ steht· Die Baraitha bezieht sich auf Ruth II, 14 (»Und sie ass und wurde satt und liess noch zurück«). Dieser Vers wird folgendermassen gedeutet: ‏ותאכל‎ בעוה”ז ותשבע לימות המשיח וחותר לעתיד לבא‎ (»Und sie ass« — in dieser Welt; »und sie wurde satt« — in der Messiaszeit; »und sie liess noch zurück«, in der zukünftigen Zeit«. Hier ist ‏לעתיד לבא‎ gerade das Gegentheil von ‏ימות המשיח‎ und unter dieser zukünftigen Zeit lässt sich nichts Anderes denken als die zukünftige erneuerte Welt.

Die Widersprüche erklären sich auch hier, wie bei ‏,עולם הבא‎ einfach durch die umfassendere Bedeutung des Ausdruckes ‏לעתיד‎ ‏,לבא‎ wie wir es schon oben gesehen haben. Denn sowohl das Jenseits, als die zukünftige Welt und das messianische Zeitalter sind der Gegensatz zu der »gegenwärtigen Welt«: sie sind alle das Seinsollende, der ‏לבא‎ לעתיד, dem das seiende, der ‏עולם הזה‎ entgegengesetzt wird. Die Sätze, in welchen wir diesem Ausdrucke begegnen, sind daher so zu behandeln, wie diejenigen, in denen der Ausdruck ‏עולם הבא‎ vorkommt: wir müssen alles das ausscheiden, was auf das Leben nach dem Tode, die Auferstehung, das jüngste Gericht und die erneuerte Welt bezogen werden kann. Was dann übrig bleibt, ist messianisch, und nur das allein können wir mit Recht in die Darstellung der jüdischen Massianologie aufnehmen. Alles Andere gehört in die jüdische Eschatologie, die zwar mit der Messianologie viele Berührungspuncte hat, vielleicht sogar aus ihr entstanden ist, aber durchaus mit dieser nicht identificirt werden darf. Denn die Eschatologie entstand erst dann, als die Messianologie dem durchgeistigten palästinensischen Judenthum der frühen Makkabäerzeit nicht mehr geistig genug erschien. Die Messianologie ist die erhoffte Verwirklichung der politischen Träume und Hoffnungen des jüdischen Volkes, aber diese Träume waren und blieben mehr oder weniger irdischer Natur. Es musste aber eine Zeit kommen, in der die Juden von einem wahren "Himmelreich" träumen mussten, und zwar von einem "Reiche, das nicht von dieser Welt" ist. Und dieses Reich ist nicht das messianische. Denn wo das Irdische noch nicht aufhört, verschwindet auch die Sünde nicht ganz, und die wahre Vollkommenheit der menschlichen Natur wird zur Unmöglichkeit, Rein spiritualistisch und der Herrlichkeit Gottes sich nähernd ist bloss die zukünftige Welt der jüdischen Eschatologie. Deshalb dürfen Messianologie und Eschatologie, trotz gemeinsamer Abstammung, niemals zusammengewürfelt werden. Ein grosser Theil der Widersprüche, denen man in verschiedenen Darstellungen der messianischen Vorstellungen des jüdischen Volkes begegnet, ist das Resultat dieser Vermengung und der Gewohnheit, die Eschatologie in die Darstellung der Messianologie aufzunehmen. Im älteren rabbinischen Schrifttum werden wohl oft dieselben Worte für diese verschiedenen Begriffe gebraucht, aber die Begriffe selbst werden selten mit einander verwechselt. Und auch wir werden in der weiteren Darstellung der tannaitischen Messianologie bestrebt sein, diese von der Eschatologie, die sozusagen ihre Tochter ist, möglichst scharf zu sondern.