Rache. (נקמה) Kapitel 89

Du darfst dich nicht rächen! — — (III, 19, 18.)

Triffst du den Ochsen deines Feindes oder seinen Esel verirrt, bring’ ihn, bring’ ihn ihm zurück. (II, 23, 4.)

§ 581‎. Aus dem großen Liebeszirkel, in den Gott alle deine Brüder zu dir ruft, schließe du Keinen aus, am allerwenigsten den, der Unrecht dir gethan, an Gesundheit, Vermögen, Ehre, Frieden, Freude dir geschadet. — Nicht nur nichts Böses vergilt ihm hinwieder, sondern Liebe erzeige ihm, die Liebe, die er ja nicht erst verdienen soll um dich, die Liebe, die Gott für ihn, als für Sein Rind, von dir fordert. — Und übst du Liebe gegen ihn, übe sie aus vollem Herzen, und gedenke dabei nicht seiner Lieblosigkeit gegen dich, daß du etwa in Wort oder in Gedanken nur dich mit ihm Vergleichest und zu ihm oder zu dir sprechest: Siehe, ich bin ja nicht wie du! — Wisse es, — Mensch mit dem heißen Blute, mit der gleich zur Rache gehobenen Hand, mit dem gleich zur Erwiderung gespitzten Wort, mit der gleich zur Vergeltung fertigen That, wisse es! wenn das gemordete Leben, wenn die zerrüttete Gesundheit, wenn der verstümmelte Körper, wenn das geschmälerte Vermögen, wenn die gekränkte Ehre, wenn die getrübte Freude, wenn der gescheuchte Friede deines Bruders, die du deiner Rachelust geopfert, wenn sie zu Gott aufschreien — oder, Mann mit dem Nachtgemüte, der du den Bruder, dem Hilfe von dir hätte werden können, dumpf von dir gewiesen, weil er dir nicht Liebe, weil er dir Haß geübt, und seine Thräne zu Gott weint — wisse es! in Gottes Richterauge wirst du nicht frei dein Auge aufschlagen können und dich entschuldigend sprechen: »war er mir doch so!« Es war Mein Kind, spräche Gott, das du lieben solltest weil du Mich liebest, nicht weil es dich liebt. — Und Vergeltung? war es dir etwa, daß er gesündigt? was ist denn dein, das er beeinträchtigen konnte, das nicht Mein vielmehr ist, und wer gab dir Schwert und Waage Meiner Gerechtigkeit in Händen? — — — Wer, sprechen die Weisen, wer Unrecht leidet und nicht Unrecht thut, Beleidigungen hört und nicht erwidert, Pflicht aus Gottesliebe übt, und auch der Leiden als Erziehung und Prüfung sich freut, von ihm heißt es: »und die Ihn lieben — wie die Sonne hervorbricht mit ihrer heilenden Kraft,« also sie aus der Hasser, der Neider und der Feinde Gewölk, siegend durch die Lichtkraft der Liebe, die ihnen innewohnt. »Wahnsinniger!« aber rufen sie dem entgegen, der zur Rache sich anschickt, »wenn deine Linke die Rechte verwundet, soll dir aus Rache die Rechte die Linke verwunden?« und ist dein Bruder minder ein zu dir gehöriges Glied? sind wir nicht Alle Genossen Eines Bundes, Kinder Eines Hauses, Glieder Eines Körpers, webt nicht in uns Allen Ein göttlicher Hauch? Leiden wir nicht Einer in des Anderen Leiden, kranken in des Bruders Kränkung — und willst du so aus Rache dich selber verstümmeln? — —

Schauen wir auf Gott! Lernen wir von Ihm Unrecht verzeihen, von Ihm Bösen Gutes erzeigen, schließen wir unsere eigene Rechnung mit Gott ab, ehe wir mit dem Bruder rechten, und zeigt uns die eigene Rechnung uns nur von Gnade, von unverdienter Liebe getragen, so seien wir dem Bruder das, was Gott einem Jeglichen von uns ist; und vergessen wir nicht, daß, was auch der Bruder uns geraubt, er uns nimmer so Hohes rauben konnte, als wir uns selber in dem rächenden Wort, in dem rächenden Schlag, in der rächenden Tat rauben; Vergängliches, Aeußeres nahm er uns, — in der Rache nehmen wir Ewiges, Inneres, Göttliches uns, denn wir hören auf, Nachbild unseres Gottes zu sein. —

(Siehe Kap. 15. 18. 72.)