1. Gamaliel I., der Vorsitzende des beth-din.

In der zunächst zu beginnenden Untersuchung über den Vorsitzenden des beth-din haben wir vorläufig von der so oft behandelten und so arg mißhandelten Mischna in Chagiga II 2, die bekanntlich eine Anzahl von Männern als Fürsten, ‚נשיא andere als אב בית דין bezeichnet, ganz abzusehen, da die Behörde, an deren Spitze dieselben gestanden haben sollen, durch בית דין genügend bestimmt ist. Dagegen bezeugen zwei andere Meldungen, daß Gamaliel I und sein Sohn Simon Vorsitzende einer Körperschaft waren, der das Recht zustand, für alle Juden verbindliche religionsgesetzliche Verfügungen zu erlassen. Es sind uns nämlich zwei Urkunden im genauen Wortlaute erhalten, die, wie ich glaube, allen bereits unternommenen und etwa noch folgenden Angriffen auf ihre Echtheit und Glaubwürdigkeit Stand halten und deren wichtige Aufschlüsse wir deshalb zuversichtlich zur Beantwortung der uns gestellten Frage verwenden dürfen. In b. Synhedr. 11b (Tos. II 6, jer. I 18d12, Ma‘asser scheni V 56c 9) berichtet R. Jehuda (b. Ilai),100 der als Tradent älterer Vorgänge bekannte Schüler R. Tarfons und Akibas und Tradent von Aussprüchen R. Gamaliels II — auch von solchen über den Tempel in Tos. Peßach. I 4 (vgl. Mischna Peßach. I 5)101 — Folgendes: »R. Gamaliel (und die Ältesten
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100) Der Name des Berichterstatters ist nur im jer. Talmud genannt; siehe die Varianten der Parallelberichte unter einander bei Dalman, Aram. Dialektproben 3.
101) In 'Erub. VI 2 erzählt R. Gamaliel einen Vorfall aus dem Hause seines Vaters in Jerusalem und R. Jehuda hat eine andere Version der


— nach jer. und Tos.—) saßen auf den Stufen auf dem Tempelberge (jer. der Vorhalle des Tempels, s. weiter) und Jochanan (der Priester), der Schreiber, stand vor ihm (ihnen) mit drei abgeschnittenen Rollen (nur in b.). R, Gamaliel sprach zu diesem: nimm eine Rolle und schreibe: An unsere Brüder, die Bewohner Obergaliläas, und an unsere Brüder, die Bewohner Untergaliläas, euer Wohl sei groß! Wir verständigen euch, daß die Zeit der Wegschaffung [aller rückständigen Zehnten aus dem Hause] gekommen ist, damit ihr den Zehnt aus den Olivenbehältern ausscheidet. Nimm eine zweite Rolle und schreibe: An unsere Brüder, die Bewohner des (oberen und des unteren)102 Darom, euer Wohl sei groß! Wir verständigen euch, daß die Zeit der Wegschaffung [aller rückständigen Zehnten] gekommen ist, damit ihr den Zehnt aus den Garbenhaufen der Ähren (?) ausscheidet, Nimm die dritte Rolle und schreibe: An unsere Brüder, die im Auslande wohnen, in Babylonien, und an unsere Brüder in Medien, (in Griechenland) und an alle übrigen im Auslande wohnenden Israeliten, euer Wohl sei groß immerdar! Wir verständigen euch, daß die jungen Tauben zart und die Lämmer klein sind und die Zeit der Ährenreife noch nicht eingetreten ist und ich und meine Kollegen es für gut befunden haben,103 zu diesem Jahre 30 Tage hinzuzufügen.« Die babylonisechen Amoräer sahen in R. Gamaliel, dem Urheber dieser Sendschreiben, R. Gamaliel II, der zwischen 90 und 120 dem Lehrhause in Jamnia vorstand. Obwohl auch H. Z. Chajes (‏תשובות מהר''ץ‎ § 79) und Rapoport (Erekh Millin 211a) für diese Beziehung eintritt und früher auch Grätz (IV 71) die ganze Stelle ohne jede Bemerkung unter R. Gamaliel II verzeichnete, ist doch Gamaliel I gemeint, wie Landau (Frankels Monatsschrift I 334), Jost (III, Anhang 159), Frankel (Hodegetica 57 ff.), Derenbourg (Essai 241), Brüll (מבוא המשנה‎ 50), Grätz (III 350, 2) und Hoffmann (Der oberste Gerichtshof 32, 1) ausführen; erstens weil
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Meldung R. Gamaliels. Hieraus ist ersichtlich, daß R. Jehuda über Vorgänge im Hause der Eltern des R. Gamaliel II eigene Nachrichten hatte.
102) Ein von Schechter in Jew. Quart. Rev. XIV 1902, 468 herausgegebener Bericht aus dem 11. Jahrhundert hat diese Talmudstelle und bietet nebst anderen wertvollen Varianten auch; ‏לאחנא בני דרומא עילאה ובני דרומא תתאה wie andere bei Rabbinowiez verzeichnete Quellen.
103) Die Einzahl im Berichte des bab. Talmuds ist nach dem Vorhergehenden nur schwer zu erklären; Tos. hat Wir, jer. passive unpersönliche Konstruktion, vgl. Dalman, a. a. O.


die Stufen auf dem Tempelberge als der Schauplatz der Erlässe bezeichnet werden,104 der sonst nur bei der trotz aller Anstrengungen der Forscher, jüngstens Schlatters, noch immer zweifelhaften Annahme der Wiederherstellung des Tempels unter Hadrian verständlich wäre.105 Aber auch das Sendschreiben
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104) Wir finden den Tempelberg und auch die Stufen desselben allerdings auch nach der Tempelzerstörung als Schauplatz der Lehrtätigkeit und einer großen Versammlung. In b. Chagiga 15a erzählt nämlich eine Baraitba, R. Josua b. Chananja sei auf der Treppe des Tempelberges gestanden und ben-Zoma, der dort in die Geheimlehre der Schöpfung vertieft saß, habe ihn nicht gegrüßt, obwohl er ihn bemerkt hatte. Haben auch die Parallelberichte Tos. Chagiga II 5, jer. II 77a 74 statt dessen בדרך (vgl. Bacher, Agada der Tannaiten I 426, i), so bestätigt eine andere Meldung, daß ben-Zoma sich einmal auf dem Tempelberge aufgehalten hat. Tos. Berakh. VII 2, b, 58a (s. Rabbinowicz) berichtet nämlich, ben-Zoma habe eine große Menge auf dem Tempelberge (jer. IX 13c 12 in Jerusalem) gesehen und bei deren Anblick Gott gepriesen. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß hier ein Fehler vorliegt, da jer. Jerusalem nennt; andererseits glaube ich auch nicht, daß der hadrianische Krieg zur Erklärung herangezogen werden dürfte. Wir haben Belege dafür, daß die Lehrer der ersten Jahrzehnte nach der Tempelzerstörung den Tempelberg besuchten, z. B. in b. Makkoth 24b, Sifre Deut. 43 p. 81a R. Gamaliel, R. Eleazar b. 'Azarja, R. Josua und R. Akiba, darunter derselbe R. Josua, der oben mit ben-Zoma dort genannt wird. Manche Lehrer mögen zu den Festen dahin gepilgert sein und auch die Menge, die ben-Zoma auf dem Tempelberge sieht, mag ein ähnlicher Anlaß zusammengeführt haben; die Römer hatten keinen Grund, hierin auch nur den Keim zu Unruhen zu sehen. Und so mögen auch die beiden, noch immer nicht bekannten Lehrer, Simon und Ismael, die von den Römern hingerichtet wurden (Semach. VIII und Mekhilta 95b), nachdem sie, wie לקח טוב zu Cant. Anfang (vgl. Schechter, Agadath Shir 99) ‏מדרש שיר השירים ed. Grünhut 3b meldet, bei der Erörterung des Passahgesetzes im Tempelvorhofe angetroffen wurden und von deren einem, Simon, Aboth di R. Nathan XXXVIII 57b erzählt, daß er auf dem Tempelberge der großen Menge versammelter Israeliten Vorträge gehalten hat (Gaster, ספר מעשיות p. 51 hat dafür allerdings בדין), zum Passahfeste die Ruinen des Tempels aufgesucht haben. Aber Beschlüsse über den Kalender wurden im Lehrhause in Jabne gefaßt und verkündet, wie uns ausdrücklich berichtet wird.
105) Welche Folgen die vorgefaßte Meinung, die Berichte über R. Gamaliell im Talmud könnten nicht geschichtlich sein, für die Behandlung von im Wortlaute einfachen und in den Nachrichten bestimmten Texten haben kann, zeigen die Erörterungen Loebs in Revue des Etudes Juives XIX 1889, 195 ff. Dieser meint, es sei in den Sendschreiben eigentlich von Gamaliel II die 1606, ‏הר הבית‎ aber ist entweder Interpolation, oder der Hügel, auf dem das Lehrhaus in Jamnia stand, oder ist das ganze eine Legende, welche die Tatsachen mit Absicht verdunkelt, Gamaliel I mit Gamaliel II verwechselt. Das aus dieser so überzeugenden Beweisführung gewonnene Ergebnis faßt Loeb


an die Juden im Darom und in Galiläa ist nach 70 nicht verständlich, da doch von Jamnia aus an die nahegelegenen Striche des Darom ein Brief nicht notwendig war; es müßte denn angenommen werden, daß die alte Formel trotz der durch den Untergang Jerusalems herbeigeführten Umwälzung beibehalten wurde.106 Dasselbe müßte auch von den Gründen vorausgesetzt werden, welche das Sendschreiben für die Beschließung des Schaltjahres anführt und welche nur auf die für die Festopfer erforderlichen Dinge Rücksicht nehmen (s. weiter). Dagegen ist alles in Ordnung, wenn hier der auch sonst aus der talmudischen Literatur und aus der Apostelgeschichte bekannte Gamaliel I gemeint ist, dessen Wirken in Jerusalem um die Mitte des ersten Jahrhunderts fällt. Er verfügt hier im Vereine mit seinen Kollegen die Einschaltung eines Monates und teilt die Tatsache, die für die Juden sowohl wegen der Feier des bevorstehenden Passahfestes, als auch wegen der zu diesem stattfindenden Wallfahrt wichtig war, den Juden aller Länder Asiens in den Sendschreiben mit.
Welcher Behörde gehörten nun R. Gamaliel und seine hier erwähnten Kollegen an? Es ist von vornherein selbstverständlich ausgeschlossen, daß er bloß als der Vorsitzende eines Lehrhauses so weitgehende Rechte sollte besessen haben. Denn die Verfügung eines Schaltjahres betraf das bürgerliche und religiöse Leben nicht nur im allgemeinen und nicht bloß denjenigen Teil des Volkes, der etwa die Autorität des Lehrhauses und seines Schulhauptes in allen Fragen bedingungslos anerkannte; sondern sie verschob auch zunächst die Feier des
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in folgende Worte zusammen: Mischna und Talmud wissen nichts über Gamaliel I, daher konnte seine Gestalt bei ihnen mit der des Gamaliel II verschmelzen. Die Beweise, welche die völlige Umstürzung des von den Quellen Berichteten rechtfertigen sollen, sucht man vergebens.
105) Darom ist ohne Zweifel eine alte geographische Bezeichnung, wie aus dem Berichte in der Baraitha in b. Peßach. 70b ersichtlich ist. Jehuda b. Dorthai und sein Sohn zogen sich zurück und ließen sich im Darom nieder. Er sagte nämlich: wenn Eliah einst kommen und den Israeliten sagen wird, warum sie am Sabbath das Privatfestopfer nicht dargebracht haben, was werden sie da antworten? Ich wundere mich über die beiden Größen des Zeitalters, über Sema’ja und Abtaljon, die doch große Gelehrte und große Bibelausleger sind, daß sie den Israeliten nicht gesagt haben, daß die Privatfestopfer die Sabbathruhe aufheben. Der Bericht stammt ohne Zweifel aus der Zeit vor 70. Zur Sache s. Rosenthal in Grätz’ Monatsschrift XXXVIII, 1894, 104 ff.


Passah im Tempel und dessen ganzen Opferkult für die Folgezeit um 30 Tage und griff hiermit in den Wirkungskreis Jener ein, zu deren Befugnissen die Ansetzung und Regelung der Opfer gehörte, also wahrscheinlich der obersten Tempelbehörden. Hat ja auch der ganze Wortlaut des Sendschreibens selbst ausschließlich das Passah und die Festopfer im Auge, indem er auf die zum ersteren notwendigen Lämmer, auf das Getreide, das für das während des Mazzothfestes darzubringende Erstlingsopfer erforderlich ist, und auf die Tauben, die von den zur Wallfahrt kommenden Männern und Frauen zu opfern sind, als noch nicht genügend entwickelt hinweist. Am nächsten läge es, an das Synedrion zu denken, das alle von den Römern noch belassene Macht ausgeübt zu haben scheint und das alle Forseher ohne Ausnahme als die oberste Religionsbehörde bezeichnen, ohne freilich dafür mehr als die bloße Behauptung zum Beweise anzuführen. Wellhausen (Pharisäer u. Sadd. 27) sagt vom Synedrion: »Es war die oberste Behörde in jeglicher Hinsicht, für Verwaltung und Justiz, für geistliche und weltliche Angelegenheiten, die freilich so wie so ungetrennt waren, im Besitze der ausübenden und gesetzgebenden, ebenso der richterlichen Gewalt; darüber sind wenigstens die Quellen völlig einverstanden.« Aber wir sehen uns bei ihm vergebens auch nur nach einem Versuche um, für seine die geistlichen Angelegenheiten betreffende Behauptung auch nur den Schein eines Beweises zu erbringen. Es sind mir, wie wahrscheinlich auch Anderen keine Belegstellen aus den diesen Gegenstand behandelnden Schriften bekannt. Und der jüngste Bearbeiter der Frage, Jelski (Die innere Entwickelung des großen Synedrions, 40) sagt wörtlich: »In den Bereich der Funktionen des Synedrions gehört auch, wie bekannt,3) die Feststellung des Kalenders, die Ausgleichung des Sonnenjahres mit dem Mondjahre durch Einschaltung eines Monates und alles, was damit im Zusammenhang stand. Es versteht sich nun von selbst, daß es auch die Aufgabe des Synedrions war, die Zeit zu bestimmen, von welcher ab man anfangen mußte, die Zehnten zu entrichten.« In Note 3 gibt Jelski Grätz III 350 an; schlagen wir dort nach, so finden wir die talmudischen Nachrichten über Gamaliel I verallgemeinert. Ist dieses der vollgiltige Beweis für Forscher, die Gamaliels Vorsitz im Synedrion nicht anerkennen? Schürer (II 207) erklärt erst, der sachliche Umfang der Kompetenz des Synedrions werde möglichst verkehrt bestimmt, wenn man sagt, es sei die geistliche oder theologische Behörde gewesen im Gegensatze zur weltlichen Obrigkeit der Römer. Dann sagt er: das Synedrion war vor Allem die höchste Instanz zur Entscheidung gesetzlicher Fragen, und führt als Beleg hiefür nebst Synhedr. XI 2 an erster Stelle Josephus Antiquit. IV 8, 14, 218 an, wo dieser Deut. 17, 8 ff. wiedergebend sagt, daß, wenn die Richter nicht entscheiden können, sie die Sache in die heilige Stadt senden, wo der Hohepriester, der Prophet und die Gerusie zusammen die Entscheidung treffen. Aber Josephus erwähnt hier das Religionsgesetz auch nicht mit einem Worte und es fehlt jeder Beweis dafür, daß gesetzliche Fragen vor das Synedrion gebracht wurden. Doch abgesehen hiervon wäre es immerhin möglich, daß Gamaliel I, der in Apostelg. 5, 34 nur als einfaches Mitglied des Synedrions erscheint, 10 oder 20 Jahre nach der dort erzählten Begebenheit zum Vorsitzenden gewählt wurde, wenn nicht Kuenen, Wellhausen und Schürer überzeugend dargetan hätten, daß der Präsident des Synedrions zu allen Zeiten der Hohepriester war. Da auch mit der zur Behebung der Widersprüche geltend gemachten Annahme einiger jüdischer Gelehrter, Gamaliel sei der zweite Vorsitzende gewesen, nichts erreicht ist, indem der uns beschäftigende Erlaß auch dann im Namen des eigentlichen Präsidenten der befugten Behörde hätte ergehen müssen, so kann Gamaliel I nur der erste Vorsitzende der hier die Einschaltung eines Monates verfügenden Behörde gewesen sein. Denn auch die noch mögliche Erklärung, es handle sich hier bloß um eine zur Erledigung der Einschaltung eingesetzte Kommission des Synedrions, — wie die Mischna Synhedr. I 2 und ein anderer alter Bericht107
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107) Wir finden im gleichen Falle auch tatsächlich eine Kommission bei R. Gamaliel II mit einer festgesetzten Anzahl von Mitgliedern in b. Synhedr. 11ab, jer. I 18c 4: es trug sich zu, daß R. Gamaliel II (zu den Lehrern) sagte: kommet morgen früh sieben ins Obergemach; als er am nächsten Morgen hinkam und acht antraf, fragte er, wer ohne Erlaubnis gekommen sei, ... denn die Einschaltung eines Monates dürfe nur durch vorher dazu Bestimmte vorgenommen werden. Es ist als höchstwahrscheinlich anzunehmen, daß sich der Hergang unter Gamaliel II genau an den früher in Jerusalem beobachteten anlehnte, daß also hier sieben Mitglieder der dazu befugten Behörde mit der Beschlußfassung über die Einschaltung betraut waren. In diesem Ausschusse konnte Gamaliel I als das gelehrteste Mitglied der Vorsitzende gewesen sein, als er den Gemeinden den Beschluß mitteilte. Aber


eine solche voraussetzen, indem sie zur Beschlußfassung über die Einschaltung eines Monates bloß 3—7 Männer für erforderlich erklären, — die im Auftrage des Synedrions Anordnungen trifft, ist hier nicht zulässig. Denn in diesem Falle hätte das Sendschreiben
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dieses ist ebenfalls ausgeschlossen, da im angeführten gleichen Falle der ständige Präsident der ganzen Behörde den Vorsitz in der Kommission innehatte und schon am vorhergehenden Tage die Mitglieder derselben bestimmte und auch hierin an die alte Praxis sich gehalten haben dürfte. Das in der Mischna Rosch haSchana I 7 in gleicher Eigenschaft genannte beth-din wäre dementsprechend die siebengliedrige Kommission und der in derselben präsidierende ראש בית דין in Rosch haSchana II 7, wie Gamaliel II, der ständige Vorsitzende der ganzen Behörde oder, nach der früher ausgesprochenen Vermutung, der aus der Kommission selbst gewählte Vorsitzende. Der Titel braucht uns nicht zu stören, da es sich damit so verhalten kann, wie beim Zivilgerichte in Synhedr. III 7: nachdem die Richter sich über das Urteil geeinigt haben, führt man die Parteien vor und הגדול שבדיינים verkündet das Urteil; ebenso bei strafrechtlichen Verhandlungen in der Baraitha b. Makkoth 23a: הגדול שבדיינים‎ liest bei Vollstreckung der Stockstrafe den Thoraabschnitt vor, der zweite zählt die Schläge, der dritte gibt den Auftrag zum Schlagen. Unzulässig scheint allerdings diese Annahme in der Mischna Rosch haSchana IV 4: R. Jochanan b. Zakkai verfügte, daß sich die Neumondszeugen zur Abgabe ihrer Aussagen immer nur dahin begeben, wo die Behörde ihren Sitz hat, mag sich der ראש בית דין gerade wo immer aufhalten. Hier kann offenbar nur der ständige Vorsitzende der ganzen Behörde gemeint sein, da sich die Kommission einen Abwesenden nicht zum Vorsitzenden wählen wird; es wäre denn, daß dieselbe einen ständigen Vorsitzenden hat, der nicht mit dem der ganzen Behörde identisch ist, wogegen der Fall R. Gamaliels II entscheidend spricht. Es ergibt sich also, daß ‏ראש בית דין‎ den ständigen, הגדול שבדיינים den zufälligen Vorsitzenden der Körperschaft bedeutet, was auch durch den Ausdruck und die grammatische Form der Bezeichnung klargemacht wird; und es folgt daraus, daß man kein Recht hat, den Vorgang bei Gamaliel I anders zu erklären. Er war der Vorsitzende der gesamten Behörde, als er das Sendschreiben an die Gemeinden richtete. Es ist noch auf Midrasch Exod. rabba 15, 20 hinzuweisen. Da wird erzählt: als unsere Lehrer daran gingen, einen Monat einzuschalten, gingen zehn tüchtige Lehrer ins Lehrhaus hinein und der ab-betb-din mit ihnen; sie schlossen die Thüren und verhandelten den ganzen Abend. Um Mitternacht sagten sie dem ab-beth-din: wir wollen dieses Jahr zu einem Schaltjahre mit dreizehn Monaten machen; willst du dich uns anschließen ? Er sagt: euere Meinung ist auch die meinige. Da haben wir zehn Mitglieder bei der Beratung, die ohne den Vorsitzenden den Beschluß fassen und ihm erst zum Schlusse das Ergebnis ihrer Beratung mitteilen, damit er seine Zustimmung dazu gebe. Auf die gerade Zahl, die sonst in Körperschaften wegen der Abstimmung bei gleicher Stimmenzahl in zwei Lagern als unzulässig gilt, scheint keine Rücksicht genommen. Wichtiger ist für uns, daß der entscheidende ab-beth-din nicht aus der Mitte der Mitglieder gewählt ist, sondern seiner Würde den Vorsitz verdankt, genau so


erst recht im Namen des Hohenpriesters oder des ganzen Synedrions erlassen werden müssen, die unmöglich darauf verziehtet haben können, vor dem gesamten Judentum als die oberste Religionsbehrde zu erscheinen; während Gamaliel hier ausdrücklich von sich und seinen Kollegen als den Urhebern der Einschaltung spricht.108
Aber noch bestimmter spricht gegen das Synedrion und für den Vorsitz Gamaliels die weitere Verordnung in dessen Erlässen, welche die Wegschaffung der rückständigen Zehnten aus dem Hause aufträgt. Denn ohne ausdrückliches Zeugnis ist nicht
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wie Gamaliel II; allerdings führt er einen anderen Titel, siehe weiter. Die Zahl der sieben oder zehn Mitglieder dieser Körperschaft ist gewiß begründet worden. Bekanntlich läßt Josephus das Zivilgericht auf dem Lande aus sieben Männern bestehen; denn er hat in der Wiedergabe von Exod. 22, 7: ונקרב בעל הבית אל האלהים in Antiquit. IV 8, 38, 287: so soll er vor die sieben Richter hintreten und bei Gott schwören. Ebenso spricht er in Antiquit. IV 8, 14, 214 von den sieben Vorstehern jeder Stadt, denen zwei Diener aus dem Stamme Levi beigestellt werden und die offenbar mit den sieben Richtern identisch sind (vgl. Schürer II 178, 8). Josephus selbst, als er als Statthalter Galiläas dieses Land organisiert, setzt in jeder Stadt sieben Richter ein (Bell. II 20, 5, 571). Zur Abhaltung eines Gemeindegottesdienstes waren nach palästinischen Lehrern in Soferim II 8 sieben Erwachsene genügend, während anderwärts zehn gefordert werden. Diese letztere Zahl gibt aber auch der angeführte Midraschbericht als die der Mitglieder bei der Einschaltung eines Monates an. Sie entspricht der עדה in Synhedr. I 6, Sitre Numeri 160, 62a und die unbekannten דורשי רשומות nehmen dementsprechend mit Hinweis auf die dreimal genannte עדה in Numeri 35, 24. 25 an (Sifre a. a. O.), der Strafgerichtshof müsse aus 30 Mitgliedern bestehen.
108) In b. Synhedr. 11a heißt es in einer Baraitha: man setzt nur dann ein Schaltjahr ein, wenn der Naßi es will. Es traf sich, daß R. Gamaliel gegangen war, sich von einem Fürsten in Syrien verabschieden, und zu lange blieb; man schaltete einen Monat ein mit der Bedingung, daß R. Gamaliel zustimmt. Als dieser heimkehrte und seine Zustimmung gab, war das Jahr ein Schaltjahr. In der Mischna 'Edujoth VII 7 bezeugen diesen Vorfall die Zeitgenossen und Kollegen des R. Gamaliel II, R. Josua und R. Papias, wodurch die Beziehung der Nachricht auf R. Gamaliel II an sich mehr als unwahrscheinlich wird. Sie spricht sicher nicht von ihm, da die Aussagen der genannten zwei Lehrer, wie aus 'Edujoth ersichtlich ist, sich ausschließlich auf Vorfälle aus der Tempelzeit beziehen, so daß nur Gamaliel I gemeint sein kann. Dafür spricht auch, daß Judäa seit Vespasian in keinerlei Abhängigkeitsverhältnis zu Syrien stand, während Gamaliel hier den Herrn Syriens aufsucht. Allerdings ist zu erwägen, סוריא gerade Syrien und nicht etwa auch den Küstenstrich Palästinas mit Caesarea bedeutet, oder der Statthalter Judäas nicht gerade auf Reisen in Syrien war, wohin Gamaliel ihm nachzog; hierzu stimmt jedoch מפסר בסוריא nicht.


anzunehmen, daß dieselbe Abordnung des Synedrions, welche sich einmal im Jahre oder noch seltener mit der Frage der Einschaltung eines Monates befaßte, auch die zu dieser in keiner unmittelbaren Beziehung stehenden Zehntenabgabe überwachte; es wäre denn, wie angenommen wurde, alles Religionsgesetzliche der Führung dieses Ausschusses des Synedrions anvertraut gewesen und Gamaliel als dessen ständiger Vorsitzender mit dem Rechte bekleidet, Beschlüsse ohne Rücksicht auf das ganze Synedrion selbst nicht bloß fassen zu lassen, sondern dieselben auch nur im Namen des wenige Mitglieder zählenden Bruchteiles des Synedrions kundzutun. Es ist dieses selbst bei der Annahme, daß das in seiner Mehrheit sadducäische Synedrion gezwungen gewesen wäre, der pharisäischen Minderheit weitgehende Zugeständnisse zu machen, kaum möglich und ist in dem Wortlaute des Berichtes auch nicht angedeutet.109 Wir sehen Gamaliel I auch mit der Beobachtung des Neumondes zur Feststellung des Monatsanfanges beschäftigt. Denn er hat, wie die Mischna Rosch haSchana II 2 meldet, den Zeugen, die den Platz des Verhöres in Jerusalem am Sabbath wegen der zu beobachtenden Ruhe nicht verlassen durften, durch Verfügung gestattet (התקין), sich im Umkreise von 2000 Ellen frei zu bewegen. Er muß sonach das Recht gehabt haben, das strenge Sabbathgesetz im Interesse der Sache abzuändern. Und da es mehr als unwahrscheinlich ist, daß er mit seinen 3 bis 7 Kollegen in dem zur Erklärung angenommenen Ausschusse die weitgehende Befugnis hiezu gehabt hätte, so muß er der Vorsitzende einer größeren Behörde gewesen sein, deren Befugnisse sich auf die Feststellung des Neumondstages, die Einschaltung eines Monates und die Abänderung des Sabbathgesetzes erstreckt haben. Diese Punkte alle führen auf die das Religionsgesetz regelnde höchste Behörde, die, da Gamaliel ihr Vorsitzender war, vom Synedrion verschieden ist. Somit ist zu erkennen, daß
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109) Im Midrasch haGadol zu Deut. 16, 1 (Hoffmann in Hildesheimers Jubelschrift, hebr. Teil 13) findet sich: שמור את חודש האביב ועשית פםח. מה פסח אין אתה עושה אלא בבית הבחירה, אף עבורין לא תהא מעבר אלא בבות הבחירה Hoffmann verweist in Note 92 auf die Mekhilta 3b oben und meint בית הבחירה sei mit לשבת הגזית‎ identisch. Mir scheint jedoch, daß der Schluß תלמוד לומר. . . בין בפני הבית בין שלא בפני הבית‎ lauten muß, wie er im folgenden Satze des Midrasch haGadol steht:ועשית פםח ליי אלהיך, אין לי אלא בפני הבית, שלא ‏ בפני הבית מנין. תלמוד לומר כי בחודש האביב הוציאך יי אלהיך ממצרים, בין בפני הבית בין שלא בפני הבית Es ist בית בחירה falsche Auflösung ‏von בפני הבית. = ב"ה


Gamaliel I an der Spitze der obersten Religionsbehörde stand, derselben, die R. Joschia in Mekhilta 3b oben als das große beth-din in Jerusalem bezeichnet und die nach ihm die Einschaltung eines Monats beschließt.110
Da er sein Sendschreiben an die Gesamtjudenheit auf dem Tempelberge diktiert und sein Sekretär neben ihm steht, muß seine Amtsstellung in irgendwelchen Beziehungen zum Tempel gestanden haben; was sich übrigens aus dem Inhalte der Urkunde mit ihrem ausschließlichen Hinweise auf die Opfer des Passah und des Mazzothfestes bereits erkennen ließ. Auch andere Meldungen zeigen, daß Gamaliels Aufenthalt in der nächsten Umgebung des Heiligtums kein zufälliger war, während allerdings andere Nachrichten wieder diesem Schluß zu widersprechen scheinen. Zunächst heißt es in unserem Berichte, daß Gamaliel und die Ältesten ‏על גב מעלות בהר הבית (Tos.), על גב מעלה בהר הבית (bab. u. jer.), auf der Treppe auf dem Tempelberge saßen,111 als er die besprochenen Briefe an die Juden der verschiedenen Länder von seinem Sekretär Jochanan schreiben ließ. Da es nun kaum Zufall sein kann, daß Gamaliel, seine
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110) Gegen die Zugehörigkeit Gamaliels zur Behörde in der Quaderkammer spricht scheinbar die Meldung in der Mischna Pe’a II 6, daß Gamaliel I mit Simon aus Mischpa in die Quaderkammer ging, um sich in einer religionsgesetzlichen Frage Auskunft zu holen. Aber erstens mag er damals noch nicht einmal Mitglied der Behörde gewesen sein; und dann ist nicht einzusehen, warum er nicht auch als Vorsitzender hätte eine Frage vorlegen können.
111) In jer. Ma’asser scheni V 56c 9: ;על מעלות האולם בהר הבית die beiden letzten Worte empfehlen, אולם als nach dem Gedächtnis verschrieben anzusehen, da die Stufen des Ulam nur von Priestern betreten werden durften (vgl. Tamid VI 1). Auf denselben spenden die Priester dem Volke den Segen beim Opferdienste (Tamid VII 2) und von denselben spricht R. Zadok zu dem im Vorhofe versammelten Volke (b. Joma 23a unten, jer. Joma II 39d 16); aber merkwürdigerweise hat hier Tos. Joma I 12 und Schebuoth I 14: על פתח האולם בהר הבית, wenn auch in der Wiener Handschrift und in den alten Ausgaben die zwei letzten Worte fehlen. Die angeführte, zweimal wiederkehrende Variante legt die Vermutung nahe, daß אולם vielleicht die Säulenhalle am Rande des Tempelberges bezeichnet, von der auch die Mischna Peßach. I 5, allerdings mit dem Fremdworte איצטבא oder die Baraitha in b. Peßach. 13b oben: הר הבית סטיו כפול היה, רבי והודה אומר, אסטוונית היה נקראת mit סטיו spricht; dieses würde dann die Verwechslung mit dem אולם des eigentlichen Tempels erklären. Hiernach wäre R. Gamaliel auf den Stufen der Säulenhalle an der ersten Mauer des Tempelberges zu denken, wie schon Hoffmann (Der oberste Gerichtshof 46) richtig gesehen hat.


Kollegen und sein Schreiber an einem Orte zusammentreffen, der sich zu solchen Zusammenkünften nicht eignete und nur bei außerordentlichen Anlässen und zu den Festen dem Volke als Versammlungsort diente,112 hier aber vom Monate Adar die Rede sein muß, so ergibt sich, daß die Treppe, auf der Gamaliel sein Schreiben diktiert, von ihm nicht zufällig gewählt sein dürfte, sondern vielleicht sein Amtssitz war. Die hier genannte Treppe gehörte nicht zu denen, die aus den Tälern um den Tempelberg zu diesem hinaufführten. Denn הר הבית bedeutet entweder den freien Raum innerhalb der ersten Mauer des Tempel1-
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112) Aus dem Johannesev. 10, 23 erfahren wir, daß Jesus, und aus der Apostelg. 3, 11; 5, 12, daß die Apostel auf dem Tempelberge gelehrt haben und zwar in der Halle Salomos; und dieselbe ist wohl auch der Schauplatz von dem in Luc. 2, 46. 47 Erzählten: Jesus sitzt im Tempel mitten unter den Lehrern, hört zu und stellt Fragen. Die Lage dieser Halle ist trotz der Parallele bei Josephus (Bell, V 5, 1,185) nieht mit Sicherheit im Osten des Tempelberges zu suchen, aber sicher am Rande des Tempelberges, nach der Angabe in der Apostelgeschichte jedenfalls an einem der Eingangstore der äußersten Mauer. Falls sie am Osttore lag, steht dieses keinesfalls im Widerspruche mit dem in Middoth I 3 Gesagten, da ja hier nicht behauptet wird, daß das Osttor nicht auch als Ein- und Ausgang dem Verkehre diente; es kann sogar das Hauptverkehrstor für die Kommenden gewesen sein. Dann entspricht es gut, daß die Lehrer hier ihre Vorträge hielten, um das eintretende Volk zum Zuhören zu veranlassen; in der Stadt selbst wurde vielleicht öffentlich für das Volk gar nicht gelehrt und so mag deshalb ein Lehrer erst dann anerkannt worden sein, wenn er auf dem Tempelberge gelehrt hatte. Es scheint, daß auch die auf der Säulenhalle ausgelegten Zeichen für das Volk (Peßach. I 5) auf der Ostseite sich befanden, da nach einer anderen Überlieferung des Abba Saul in b. Peßach. 13b 14a am 14. Nissan auf dem östlich vom Tempelberg gelegenen Ölberge pflügende Kühe als Zeichen für die Verbrennungszeit der gesäuerten Heiligtümer dienten; also genau gegenüber dem Osttore. Nach dem Obigen könnte auch den Angaben in den Evangelien über die Kaufhallen auf dem Tempelberge die Richtigkeit nicht ganz abgesprochen werden. Nur darf man nicht mit Johann. 2, 14. 15 an einen Viehmarkt denken, abgesehen davon, daß ein solcher nicht in Kaufhallen, sondern auf einem freien Platze abgehalten worden sein muß. Man wird vielmehr gut tun, nur das als den Tatsachen entsprechend anzunehmen, was Matth. 21, 12, Marc. 11, 15 berichten: er trieb heraus alle Verkäufer und Käufer im Tempel und stieß um der Wechsler Tische und die Stühle der Taubenkrämer. Vieh hatte auf dem Tempelberge keinen Platz, wie aus der Mischna Schekal. VII 2 mit Sicherheit hervorgeht: ‏מעות שנמצאו לפני סוחרי בהמה לעולם מעשר, בהר הבית חולין, בירושלים בשעת הרגל מעשר, ובשאר כל ימות השנה חולון‎ wo erst der Viehmarkt, dann der Tempelberg, hierauf die Stadt mit den sie betreffenden Bestimmungen vorgeführt werden. Die Kaufhallen auf dem Tempelberge dürften, wie anderwärts, in der Säulenhalle gewesen sein.


berges, wie z. B. in der Mischna Peßach. V 10: (nach der Schlachtung des Passah) geht die erste Gruppe aus dem Tempelvorhofe hinaus und setzt sich ‚בהר הבית die zweite im Chel, die dritte bleibt auf ihrem Platze im inneren Vorhofe; ebenso Para III 3, Tos. Sota VII 13, b. Sota 40b, b. Joma 12a; oder das ganze Plateau des Berges, das durch die erste Mauer eingeschlossen war, so in Middoth I 1. 3, II 1, Ta’anith II 5 (vgl. b. Ta’anith 16b), Nedar. V 5. 133 Vom äußersten Rande führten zur zweiten Einfriedigung, dem סורג einige Stufen, von diesen
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113) Dieses erhellt am sichersten aus der Mischna Berakh. IX 9: man benehme sich nicht leichtfertig gegenüber dem Osttore, das dem Allerheiligsten gegenüberliegt; man gehe nicht hinein להר הבית mit dem Stocke. Da zeugt nicht bloß die Nennung des Tempelberges nach dem ohne Zweifel ersten und äußersten Eingangstore der ersten Mauer, sondern auch ‚יכנם das den Eintritt in einen umschlossenen Raum bezeichnet und für das, wenn der Fuß des Tempelberges gemeint wäre, יעלה hätte stehen müssen, vgl. Midd. II 2, Tos. Peßach. IV 3. In b. Peßach. 57a, Tos. Menach. XIII 19 wird von den Fellen der Opfertiere, die den diensttuenden Priestern gehörten, denselben aber von den gewalttätigen vornehmen Priestern entrissen wurden, berichtet, daß sie die Eigentümer Gott weihten. Man erzählte: es verstrich eine kurze Zeit und man bedeckte den ganzen Tempel mit goldenen Tafeln, die eine Quadratelle groß und so stark wie ein Golddenar waren; zu den Wallfahrtsfesten legte man sie zusammen und legte sie ‚על גב מעלה בהר הבית damit die zur Wallfahrt Kommenden das Werk bewundern. Die Toßifta fügt noch hinzu, daß die Tafeln nach dem Feste wieder auf ihren Platz gebracht wurden. Da man die wertvollen Goldplatten nicht auf die Stufen des Tempelberges wird gelegt haben, ist es fraglich, was die Treppe auf dem Tempelberge hier bezeichnet. Nun lesen wir in der Mischna Schekal. VIII 4, daß der Vorhang des Allerheiligsten, wenn er verunreinigt wurde, in ein Bad getaucht und auf dem Chel zum Trocknen ausgebreitet wurde; wenn er aber neu war, breitete man ihn auf dem Dache der Stoa aus, damit das Volk das Werk bewundere. Hieraus ist ersichtlich, daß, was dem Volke zum Bewundern gezeigt wurde, auf die den Tempelberg umsäumende Säulenhalle gelegt ward. Das ergäbe, daß ‏על גב מעלה בהר הבית‎ die Sulenhalle bezeichnet, worauf auch die Variante ‏ על מעלות האולם‎ in Note 111 führte, ebenso die Zeichen für das Volk auf der Stoa. Dazu stimmt, daß auf dieser Treppe eine Nichtjüdin gesehen wurde (jer. 'Aboda zara I 48a 73, vgl. jer. Peßach. IX 13b 75 die Baraitha: es trag sich zu, daß R. Gamaliel auf dem Tempelberge spazierte und eine Heidin sah, über deren Schönheit er den Segen sprach. Dafür hat b. 'Aboda zara 20a: es trug sich zu, daß Simon b. Gamaliel auf der Treppe auf dem Tempelberge war), die nur bis zum Soreg gehen durfte. Es scheint allerdings, als ob die für Nichtjuden gezogenen Schranken in der Praxis nicht beobachtet worden wären, wenigstens nicht nach der von Josephus bezeichneten Grenze. Denn dieser erzählt (Bell. II 16, 2, 340 ff.), (daß der von Cestius zur Untersuchung der in Jerusalem herrschenden Stimmung abgesandte Neapolitanus,


zum sogenannten Chel, der Terrasse vor der Mauer des inneren Vorhofes 14 Stufen, von da in drei Absätzen 15 Stufen zu den Toren eben dieser Mauer (Bell. V 5, 2, 193 ff). Es ist nicht leicht zu entscheiden, welche dieser drei Treppen im Berichte von R. Gamaliel gemeint ist. Da zum Soreg nur wenige Stufen hinanführten, so daß weder die Mischna, noch Josephus ihre Zahl angeben, dürfte die Bezeichnung ‏מעלה‎ kaum auf sie bezogen werden können. Dagegen könnte Gamaliel mit seinen Kollegen auf der obersten der 14 zum Chel führenden Stufen, d. i. auf der Terrasse sitzend gedacht werden. Wir finden ihn allein in dieser Stellung auf der Treppe in Tos. Sabbath XIII 3, wie R. Chalafta dem R. Gamaliel II erzählt: ich erinnere mich, wie dein Großvater, R. Gamaliel, der Alte, auf der Treppe auf dem Tempelberge saß und man ihm das Buch Hiob in Übersetzung brachte (b. Sabb. 115a unt.: er stand, jer. XVI 15c 5: er stand auf dem Baue auf dem Tempelberge). Da wird ihm offenbar als dem zur Entscheidung befugten Lehrer und während des Amtierens die Übersetzung vorgelegt. In der Mischna Orla II 12 lesen wir: Joezer, איש הבירה war war ein Schüler des Lehrhauses von Schammai und erzählte: ich befragte über diese Sache den R. Gamaliel, der im Osttore stand. Hierunter ist entweder das erste in der äußersten Mauer oder das des Frauenvorhofes oder das Nikanortor im inneren Vorhofe gemeint. Das erste, auch in Berakh. IX 9 שער המזרח genannt, heißt in Middoth I 3 שער המזרחי und diente, wie hier vermerkt wird, dem zur Verbrennung einer roten Kuh auf den Ölberg sich begebenden Hohenpriester als Ausgang. Da von den Toren der äußersten Mauer auf der Süd- und Westseite besonders angegeben wird, daß sie als Aus- und Eingänge dienten, wäre man geneigt an-
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ein Nichtjude, zum Tempel hinaufstieg, dahin das Volk einberief und demselben für seine Treue gegen die Römer reiches Lob spendete. Da die Volksversammlungen immer auf dem Tempelberge stattfanden (Bell. II 15, 3, 320; 20, 3, 562) und zwar nach Bell. II 17, 3, 411: die Vornehmen beriefen das Volk zu einer Versammlung an das eherne Tor, welches im inneren Vorhofe gegen Osten lag, so müßte Neapolitanus das geräumige Plateau, wo eine größere Menge Platz hatte, bestiegen und nicht bloß den Rand des Tempelberges betreten haben. Schürer II 272 sagt zwar, die Strafe wäre nur über den verhängt worden, der den inneren Vorhof betrat. Aber Grätz (III 225) macht mit Recht darauf aufmerksam, daß die Volksversammlungen an den Säulenhallen, an der äußersten Mauer des Tempel ist.


zunehmen, das Osttor sei wenig benützt worden; doch spricht sonst nichts dafür. In Joma I 3 dagegen: »Am Vorabende des Versöhnungstages stellt man den Hohenpriester ins Osttor und läßt an ihm alle Arten der Opfertiere vorüberziehen, damit er sich an den Opferdienst gewöhne,« ist offenbar das Osttor des inneren Vorhofes gemeint. Die Zusammenstellung in Ta'anith 5: ‏לא הוינו נוהגין כן אלא בשערי מזרח ובהר הבית läßt nicht auf den ersten Blick entscheiden, ob nicht, wie die Kommentatoren annehmen, in der Tat das Osttor der äußersten Tempelbergmauer gemeint ist; wiewohl die richtige Lesart בשערי im Plural zu sein und auf das Nikanortor hinzuweisen scheint. Es ist aber das Wahrscheinlichste, daß das Osttor ohne weitere Angabe hier das äußerste ist, so daß die Nachricht über R. Gamaliels Aufenthalt im Osttore, wie die andere über den auf den Stufen des Tempelberges auf die Säulenhalle am Ostrande des Tempelberges führt.114 Wie dem auch sei, muß nach den erhaltenen Nachrichten die öffentliche Tätigkeit des R. Gamaliel I sich zum großen Teile auf dem Tempelberge abgespielt haben und zwar im Amte eines Vorsitzenden der höchsten Religionsbehörde.115
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114) Von einem Tore des Heiligtums, in dem religionsgesetzliche Entscheidungen gefällt wurden, spricht R. Simon b. Jochai in b. Synhedr. 103a; ויבואו כל שרי מלך בבל וישבו בשער התוך. אמר רבי יוחנן משום רבי שמעון בן יוחי, מקום שמחתכין בו הלכות Die künstliche Schriftdeutung zeigt, daß das Tor nicht erst durch Exegese diese Bestimmung zugewiesen bekam, sondern diese als bekannt in das Bibelwort hineingelegt wurde. In abweichender Form findet sich dasselbe in Midrasch Kohel. rabba zu 3, 16: ‏‏רבי אלעזר ורבי יהושע בן לוי אומרים, מקום המשפט שמה הרשע, מקום שסנהדרי גדולה יושבין וחותכין דין של ישראל, שנאמר ויבואו בל שרי מלך בבל וישבו בשער התוך, מקום שחותכין בו את ההלכות wo dasselbe Tor mit dem Sitze des Synedrions identifiziert wird. In der Parallelstelle in Midrasch Lev. rabba 4, 1 sind die älteren Tannaiten R. Eliezer und R. Josua als Urheber des Satzes genannt, was den Wert der nicht sehr vertrauenerweckenden Ausführung natürlich erheblich steigern würde. Ein anderer Satz des R. Jochanan, der möglicherweise gleichfalls von R. Simon b. Jochai stammt (vgl. Midrasch Threni rabba zu 2 ,15, Exod. rabba 52 Ende, Pesikta rab. XLI, 173a, Bacher, Agada der Tannaiten II 101, 4), in b. Peßach. 92a: ‏‎ויעמוד יהושפט בקהל יהודה וי‏‏רושלים בבית יי לפני חצר החדשה, מאי חצר חדשה, שחדשו בו דבר ואמרו, טבול יום לא יכנם במחנה לויה daß eine religionsgesetzliche Frage im Neutore erledigt wurde; doch ist dessen Lage nicht bekannt.
115) Bekanntlich sind uns, wie schon erwähnt, von R. Jose drei Behörden auf dem Tempelberge überliefert: das große beth-din in der Quaderkammer, das beth-din im Chel, auf der Terrasse vor der Mauer des inneren Vorhofes (Tos. Synhedr. VII 1, jer. I 19c 20), das im Parallelberichte in b. Synhedr. 88b als am Eingange des inneren Vorhofes befindlich bezeichnet wird,


Für die amtliche Stellung R. Gamaliels ist auch der Bericht in b. Peßach. 88b anzuführen, der, weil er nur gelegentlich von jenem spricht, und trotz oder wegen seiner Naivetät besondere Beachtung verdient. Der König und die Königin hatten ihren Dienern den Auftrag erteilt, für sie das Passah zu schlachten; diese schlachteten nun zwei Tiere, was unzulässig war. Hierauf aufmerksam gemacht, wandten sie sich mit der Frage, was zu tun sei, an den König, der sie an die Königin wies; diese sandte die Diener zu R. Gamaliel, der das weitere Vorgehen angab. Als bei einer anderen Gelegenheit im Schlachthause des königlichen Palastes ein unreines Tier gefunden wurde, schickte die Königin ihre Diener gleichfalls zu R. Gamaliel mit der Frage, was zu geschehen habe. Nimmt man auch als sicher an, daß sich die Königin nur deshalb an diesen Lehrer wandte, weil sie ihre Anerkennung der pharisäischen Richtung offen bekunden wollte, so ergibt sich doch, daß R. Gamaliel damals der öffentlich anerkannte Führer der Pharisäer, etwa das Oberhaupt der Lehrhäuser war, in denen religionsgesetzliche Entscheidungen abgegeben wurden.116 Dieselben sehen wir in der Tat in Nazir III 6, wo erzählt wird, daß die Königin Helena
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und das dritte am Eingange des Tempelberges oder auf dem Tempelberge. Wir könnten nun annehmen, daß R. Gamaliel einem dieser drei beth-din vorgestanden hat; und zwar nach den obigen Ausführungen am ehesten dem am Eingange der Tempelbergmauer, d. h. in der Säulenhalle, wo er, wie in einer Basilika der Römer, die Verhandlungen über religionsgesetzliche Fragen geleitet haben könnte, falls die betreffende Behörde hierzu tatsächlich befugt war. Dieses ist jedoch nach der Beschreibung des R. Jose keineswegs der Fall, da er die Behörde als die niedrigste unter den dreien bezeichnet; wir müssen sonach hiervon völlig absehen.
116) Derenbourg (Essai 211) bezieht die Stelle ohne weiteres auf Agrippa I und dessen Gemahlin Kypros. Aber es ist nicht nur nicht bekannt, daß diese pharisäisch gesinnt war, sondern der Umstand, daß Josephus in seinem Berichte von Agrippas Frömmigkeit dessen Gemahlin gar nicht erwähnt, spricht auch dagegen, zumal in unserer Schilderung die Königin die Fromme ist. Ebenso sieht Derenbourg 210 in der Meldung b. Peßach. 57a von dem an das Passah sich knüpfenden Streit zwischen dem König und der Königin, den der von ihnen zur Entscheidung angerufene Hohepriester Issakhar aus ‏כפר ברקאי ‎ schlichtet, Agrippa I. Mir will es scheinen, daß in diesen Berichten Agrippa II gemeint ist, der im Jahre 50 von den Römern die Aufsicht über den Tempel und das Recht, die Hohenpriester zu ernennen, erhielt (Schürer I 587). Die Königin dürfte seine Schwester Berenike sein, deren religiöse Handlungen Josephus auch sonst erwähnt (Bell. II 15, 1, 313). Sie lebte seit dem Tode ihres Gemahls, Herodes von Chalkis, vom Jahre 48 als Witwe im Hause


von Adiabene nach Jerusalem kam, um ihr Gelübde zu erfüllen, und auf ihre Anfrage die Schule Hillels entschied, daß sie ihr Gelübde noch weitere sieben Jahre beobachten müsse; und da könnte R. Gamaliel das Oberhaupt gewesen sein, sonst aber nichts. Nun ist ein Lehrhaus auch auf dem Tempelberge genannt, indem R. Jose in seiner Beschreibung der Behörden auf dem Tempelberge erzählt, daß die Mitglieder des großen beth-din in der Quaderkammer an Sabbathen und Festtagen (nach der Baraitha in b. Synhedr. 88b auf dem Chel, nach Toßifta und jer. Talmud) im Lehrhause auf dem Tempelberge saßen. Da könnte wohl die Erörterung der Streitfragen stattgefunden haben und mögen die Beschlüsse gefaßt worden sein, die Gamaliel dann auf dem Versammlungsplatze des Volkes, in der östlichen Säulenhalle verlautbarte. Aber es ist nicht im geringsten verständlich, wie er bloß als das Oberhaupt eines Lehrhauses, selbst wenn dessen Mitglieder ausschließlich die bedeutendsten Lehrer in Israel waren, den für den Opferdienst im Tempel maßgebenden Kalender hätte ordnen können, wenn das Lehrhaus nicht gleichzeitig den vollen Charakter der höchsten, anerkannten Behörde gehabt hat? Die beth-Hillel, die von der Königin Helena befragt entscheiden, bezeichnen hier vielmehr die Mehrheit in dieser Behörde, in die sie als die Mitglieder eines bestimmten Lehrhauses geschlossen eingetreten sind und der sie dadurch ihren Namen und Charakter verliehen. Sie muß durch diese gelehrten Mitglieder, denen sich zur selben Zeit wahrscheinlich die Schammaiten als Minderheit beigesellt hatten, ganz einem Lehrhause geglichen haben. Und da verdient der bereits angeführte Satz des R. Eliezer zu Numeri 27, 2: ותעמודנה לפני משה ולפני אלעזר הכהן ולפני העדה פתח אהל מועד
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des Agrippa II (Antiquit. XX 7, 3, 145), wahrscheinlich bis zum Jahre 63 (Schürer I 589, 9), begleitete ihn nach Jerusalem und nahm auch an seinen religiösen Handlungen teil (vgl. Apostelg. 25, 26), R. Gamaliel I kann sehr gut nach dem Jahre 48 gewirkt haben, selbst wenn wir der Meldung des Juchasin (ed. Filipowski 61a), daß Gamaliel 18 Jahre vor der Zerstörung Jerusalems gestorben ist, keinen Glauben schenken (vgl. Herzfeld in Frankels Monatsschrift III 1854, 222 ff). Der hier genannte Hohepriester, von dem auch die Baraitha in b. Peßach. 57a erzählt: ארבעה צווחות. צווחה עזרה . . - . . צא מכאן יששכר איש כפר ברקאי, שמכבד את עצמו ומחלל קדשי שמים‎ und den Josephus in seiner Liste der Hohenpriester nicht kennt, war wahrscheinlich der Oberste der diensttuenden Priesterschaft, der im Tempel alles an sich riß. Die Königin wendet sich an ihn und nicht an Gamaliel, weil der Gegenstand es nahelegt.


in b. Baba bathra 119b (Sifre Num. 133, vgl. 68 u. 113), daß die hier berichteten Anfragen im Lehrhause gestellt wurden, wo sich Moses als der Vorsitzende mit dem Hohenpriester und den Vertretern des Volkes zusammenfanden, um religionsgesetzliche und andere Fragen entgegenzunehmen. Da R. Eliezer in Jerusalem gelebt hat und dort vor der Zerstörung des Tempels der Schüler des R. Jochanan b. Zakkai war, kannte er noch die Organisation und die Wirksamkeit des Lehrhauses auf dem Tempelberge in der unmittelbaren Nähe des Heiligtums und übertrug offenbar in seinem Satze jene Verhältnisse in die Zeit Moses’. Hiernach wären im בית המדרש die Beschlüsse gefaßt worden, ein Schaltjahr anzuordnen, das Sabbathgesetz abzuändern und andere tiefgreifende Verfügungen zu treffen. Aber Gamaliel I war der Vorsitzende der obersten Behörde, deren Mitglieder diese Beschlüsse faßten, des großen beth-din in Jerusalem.

2. Simon, Sohn Gamaliels I., der Vorsitzende des beth-din.

Eine auf diesen Lehrer bezügliche alte Urkunde, die meines Wissens für die Geschichte bisher noch nicht verwertet wurde, ist im Midrasch haGadol zu Deut. 26, 13 aus der verlorenen Mekhilta des R. Simon b. Jochai erhalten (s. Hoffmann in Hildesheimers Jubelschrift, hebr. Teil 30): »R. Josua (b. Chananja) sagte zu R. Nechunja b. Hakana: ich will dir etwas erzählen, was meine Augen gesehen, nicht bloß meine Ohren gehört haben. Ich stieg einmal zum oberen Markte in das Misttor in Jerusalem hinauf und fand dort R. Simon b. Gamaliel und R. Jochanan b. Zakkai sitzen und zwei offene Rollen vor ihnen und Jochanan סופר חלה stand vor ihnen mit Tinte und Feder in der Hand. Sie sagten ihm: schreibe: Von Simon, Gamaliels Sohn, und Jochanan, Zakkais Sohn, an unsere Brüder שבדרום העליון והתחתון ולשחליל ולשבעת פלכי הדרום Friese! Es sei euch zur Kenntnis, daß das vierte Jahr eingetroffen ist und die Gott geheiligten Dinge noch nicht weggeschafft sind, darum (אלא?) eilet und bringet die Garben, welche das Bekenntnis (über die erfolgte Ablieferung der Zehnten) verhindern. Und nicht wir schreiben euch zuerst hierüber, sondern schon unsere Väter haben eueren Vätern geschrieben. Ferner sagten sie zu ihm: schreibe einen zweiten Brief: Von Simon, Gamaliels Sohn, und...